Odd Thomas 4: Meer der Finsternis
hinter mir zufallen, trat zwei Schritte auf ihn zu und hielt ihm die Pistole unter die Nase, noch bevor ihm die Zeitschrift aus den Händen geglitten und zu Boden gefallen war.
36
Joey, der redegewandte Kritiker von Jachtnamen, saß wie versprochen am Funkgerät. Einen Moment starrte er in die Mündung meiner Waffe, als wollte er seinen Stuhl zur Toilette umfunktionieren.
Als ich sah, dass er sich sofort wieder unter Kontrolle hatte und sich überlegte, wie er mich überlisten konnte, senkte ich die Pistole zu seiner Kehle, damit ich sein Mienenspiel besser beobachten konnte.
»Die Küstenwache«, sagte ich. »Funk sie an.«
»Mit denen habe ich aber schon geredet.«
»Tu’s, oder ich schieße dir eine Kugel ins Bein!«
»Was denn, was denn … kannst du etwa nicht mit’nem Funkgerät umgehen?«
Sobald ich die Waffe nicht mehr auf ihn richtete, würde er sich auf mich stürzen.
Vor Übelkeit hatte sich mein Mund mit Speichel gefüllt, den ich gut gebrauchen konnte. Ich spuckte ihn Joey ins Gesicht.
Als er zurückzuckte, schloss er kurz die Augen, was mir die Chance gab, ihm mit der Pistole quer übers Gesicht zu schlagen. Die spitze Erhöhung an der Mündung riss ihm die Wange auf; ein dünner Blutfaden lief heraus.
Er presste die Hand auf die offenkundig schmerzende Wunde.
Obwohl die Wut in seinen Augen sich beunruhigend schnell in bitteren Hass verwandelt hatte, war ihm anzusehen, dass er Respekt vor mir gewonnen hatte und wahrscheinlich nicht so schnell versuchte, mich auszutricksen.
»Los, funk die Küstenwache an«, wiederholte ich.
»Nein.«
Das meinte er auch. Er würde sich nicht überzeugen lassen. Offenbar kam ihm die Aussicht auf ein Leben im Gefängnis schlimmer vor als der Tod.
Joey warf einen kurzen Blick zur Tür, als wäre jemand hereingekommen, und sah dann gleich wieder mich an. Damit wollte er mich natürlich dazu bringen, mich umzudrehen, doch den Gefallen tat ich ihm nicht.
»Außerdem«, sagte er, als ich nicht reagierte, »ist der nächste Kutter von denen fünfzig Seemeilen weit entfernt. Wir sind aus dem Schneider.«
Die Motoren der nahen Jacht vibrierten durch den Rumpf unseres Schiffs. Zusammen mit den beim Umladen entstehenden Geräuschen dürfte das selbst einen lauten Knall übertönen, sagte ich mir. Kurz entschlossen zielte ich auf Joeys linken Fuß und drückte ab.
Er schrie auf; ich sagte ihm, er solle die Klappe halten, und zog ihm noch einmal den Lauf der Pistole übers Gesicht, um meine Anweisung zu unterstreichen.
In meinem Innern hatte ich der Rücksichtslosigkeit ein Tor geöffnet, das ich so bald als möglich wieder schließen wollte. Aber das Leben von Millionen Menschen stand auf dem Spiel, und was getan werden musste, das musste ich ohne zu zögern tun.
Der Schmerz hatte Joey verändert. Er heulte.
»Was den Kutter und die fünfzig Meilen angeht, glaube ich dir«, sagte ich. »Deshalb mache ich dir einen Vorschlag:
Du erzählst mir ein paar Dinge über dieses Unternehmen, dann bringe ich dich rasch und schmerzlos um.«
Er spuckte einen Kraftausdruck aus, den ich hier nicht wiedergeben werde. Allerdings forderte ich ihn auf, das gern noch einmal zu wiederholen.
Als er darauf verzichtete, sagte ich: »Wenn du mir nicht erzählst, was ich wissen will, dann füge ich dir Wunden zu, die so wehtun, dass du dir jetzt gar nicht vorstellen kannst, wie sehr du leiden wirst. Wunden, von denen du langsam stirbst, ohne dich bewegen und sprechen zu können. Du wirst stundenlang qualvoll hier auf dem Boden liegen und mehr Tränen vergießen als alle Kinder, die eure Bomben getötet hätten, so viele Tränen, dass du an Austrocknung sterben wirst, bevor du verblutest.«
Er wollte sich aufsetzen und sich den verwundeten Fuß halten, um den Schmerz zu lindern, doch das ließ ich nicht zu.
»Wo kommen die Bomben her?«
Ich hätte nicht gedacht, dass er schon zu einer Antwort bereit war, aber mit vor Schmerz und Furcht zitternder Stimme nannte er ein Land im Mittleren Osten.
»Wie sind sie auf die Jacht gekommen?«
»Von einem Frachter.«
»Umgeladen? Wo?«
»Dreihundert Meilen weit entfernt.«
»Auf hoher See?«
»Ja. Wo es nicht überwacht werden kann.« Mit zusammengebissenen Zähnen sog er zischend die Luft ein. »Der Fuß bringt mich noch um.«
»Falsch, das wird jemand anders tun. Wie viele Bomben?«
»Vier.«
»Wie viele?«
»Vier. Habe ich doch gesagt. Vier.«
»Hoffentlich lügst du nicht. Welche Städte?«
»Das weiß ich nicht.«
»Welche
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