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Oder sie stirbt

Oder sie stirbt

Titel: Oder sie stirbt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregg Hurwitz
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Glück leicht passieren können, dass Sie vielleicht eine russische Frau haben oder so, und sich prompt auskennen. Aber ich habe auch ungarisches Blut, glaube ich, und wer zum Teufel weiß schon irgendwas über Ungarn? Sie wissen ja, wie das geht – es ist wie beim Schreiben, ich lasse eben meine Fantasie spielen. Und ich achte auf die verräterischen Details. Budapest wäre zu offensichtlich gewesen, also hab ich mich für Debrecen entschieden. Diese spezielle Herzkrankheit hatten sie mir vorgegeben. Aber das mit den Bananen war wieder von mir. Ich dachte mir, dass Sie garantiert danach fragen. Manchmal stößt man die Leute ja mit der Nasenspitze auf irgendetwas, und sie merken es nicht mal.«
    Obwohl sie darauf angespielt hatte, dass wir ja quasi Kollegen seien, bezweifelte ich, dass ich jemals ihr Talent und ihre Professionalität gehabt hatte. Ich konnte meine Bitterkeit genauso wenig zurückhalten wie sie ihren Stolz. »Sie sind eine begabte Schauspielerin«, meinte ich. »Sie werden es weit bringen in dieser Stadt.«
    »Dafür ist es zu spät. Aber ich kann davon leben.«
    »Und das Bargeld …?«
    »Eine Stunde, nachdem Sie gegangen waren, habe ich die Tasche in den Kofferraum eines geparkten Autos in einer ruhigen Nebenstraße gelegt.«
    »In einen weißen Honda Civic?«
    »Woher wissen Sie das?«
    Ich schüttelte den Kopf, weil ich mich nicht ablenken lassen wollte. »Sie haben Ihnen von mir erzählt.«
    »Ein bisschen. Nicht mehr als das Mal davor.«
    »Moment«, sagte ich. »Das Mal
davor?
«
    »Da war noch einer.« Sie schaltete um auf ihren ungarischen Akzent: »Er kommt auch, arme Elisabeta und Enkelin zu helfen mit furchtbare Krankheit.«
    Ich starrte sie verblüfft an. »Haben Sie … Wer? Wer war das?«
    Genauso schnell, wie sie sich in die müde Kellnerin verwandelt hatte, verwandelte sie sich auch wieder zurück. »An seinen Namen kann ich mich nicht erinnern. Aber er hat mir seine Karte gegeben. Der nahm sich furchtbar wichtig mit seiner Visitenkarte. Wo hab ich die denn …?« Sie ging zu einem kleinen Apothekerschränkchen, das mehr winzige Schubladen hatte, als ich zählen konnte, und begann darin herumzusuchen.
    »Sie verstehen überhaupt nicht, was hinter dieser ganzen Sache steckt, oder?«, fragte ich.
    Aber sie ließ sich nicht ablenken. »Moment, ich weiß genau, ich hab sie aufbewahrt.«
    Als sie weiter eifrig Schubladen aufzog und wieder zumachte, bat ich: »Dürfte ich bitte mal Ihre Toilette benutzen?«
    »Nur zu. Verdammt, das Ding muss hier doch irgendwo sein.«
    Das Badezimmerfenster ging auf einen schmalen, mit Steinen befestigten Streifen mit ein paar Pflanzen am Rand hinaus, und gegenüber blickte man direkt ins Badezimmerfenster des Nachbarblocks. Der Wasserdampf der eingelassenen Badewanne hing schwer in der Luft, und der Spiegel war ganz beschlagen. Nachdem ich die Badezimmertür hinter mir zugemacht hatte, öffnete ich das Schränkchen über dem Waschbecken und hoffte dabei inständig, dass die Tür nicht quietschte. Keine verschreibungspflichtigen Tabletten, aber in einer der kleinen Schubladen fand ich dann doch ein Fläschchen.
Dina Orloff
stand in säuberlicher Schrift auf dem Etikett.
    »Ich hab’s!«,
rief sie triumphierend, und beschrieb in diesem Moment genau meine Gefühle. Vorsichtig machte ich die Schublade wieder zu und wandte mich zum Gehen. Als ich gerade nach der Klinke griff, tönte die schrille Türklingel durch das kleine Apartment. Ich erstarrte mit der Klinke in der Hand. Das Schloss öffnete sich klickend.
    Durch die Tür hörte ich sie etwas murmeln. Sie machte ein paar leise Schritte.
    Im nächsten Moment wurde die Wohnungstür ziemlich laut geöffnet, und ich hörte zwei gedämpfte Geräusche, gefolgt vom dumpfen Aufprall eines Körpers auf einen Teppich. Dann ging die Tür wieder zu, und die Schritte von mindestens zwei Personen waren zu hören. Und Geräusche, als würde man etwas Schweres über den Boden schleifen.
    Mein Magen krampfte sich zusammen, und ich musste aufpassen, dass ich nicht laut stöhnte oder zusammenzuckte oder irgendetwas tat, außer weiteratmen und die Klinke in meiner Hand langsam und lautlos wieder in ihre normale Position gleiten zu lassen.
    Wenn sie mir gefolgt waren, hatte ich Dina Orloffs Tod verschuldet. Im Grunde lag es auf der Hand, dass sie von meiner Anwesenheit wussten. Und wenn dem so war, dann würde mir nicht mehr viel Zeit für Schuldgefühle bleiben.
    Eine gedämpfte Stimme zischte: »Los, Bewegung!

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