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Oder sie stirbt

Oder sie stirbt

Titel: Oder sie stirbt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregg Hurwitz
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aus wie Blinky aus Pac-Man. Nachdem sie von der Tür zurückgetreten war, um mir Platz zu machen, winkte sie mich mit einer dramatischen Geste herein. In der vollgestopften Wohnung hing ein leicht feuchter, pflanzlicher Geruch, und ich hörte, dass sie sich gerade ein Bad einlaufen ließ. Sie zog den Bademantel über ihrem nackten Oberkörper zusammen, lief ins Bad, um den Hahn abzudrehen, und kam wieder zurück. »So«, sagte sie.
    Ich versuchte zu erraten, ob sie wusste, dass ich ein Verdächtiger im Mordfall Keith Conner war, aber eigentlich wirkte sie dafür zu gleichgültig über mein Erscheinen. Nein, es sah eher so aus, als wäre ich einfach ein Mann, den sie hereingelegt hatte.
    »Sie sind in Gefahr«, erklärte ich.
    »Das wär nicht das erste Mal, dass man hinter mir her ist.«
    »Diesmal ist es anders.«
    »Woher wollen Sie das denn wissen?«
    Ich konnte mich immer noch nicht an ihr perfektes Englisch gewöhnen, die Mühelosigkeit, mit der ihr Mund die Worte bildete. Ich sah mich um. Antike Möbel, schon ziemlich mitgenommen, aber noch gebrauchsfähig. Ein Victrola-Grammophon mit einer Beule im Schalltrichter. Film-Noir-Kinoplakate und alte Poster von fernen Reisezielen schmückten die Wände: CUBA , DAS LAND DER ROMANTIK ! Seit ich nach L.A. gezogen war, war ich schon in unzähligen Wohnungen gewesen, die aussahen wie diese hier. So viel Style zu Flohmarktpreisen, so viel projizierte Fantasien an den Wänden, die Glockenhüte, das Zigarettenetui aus einer anderen Zeit, die nicht die des neuen Besitzers war – hätte man nur damals gelebt, dann wäre alles anders gekommen, dann wäre man lautlos in diesen ganzen Rauch und Glamour geglitten. Ich musste an mein eigenes Fritz-Lang-Filmplakat denken, das ich voller Stolz in der Woche meines College-Abschlusses in einem Ramschladen auf dem Hollywood Boulevard gekauft hatte. Ich dachte, damit würde ich auch endlich zum Club gehören, aber ich war einfach mal wieder der Junge, der unbedingt trendy sein will und sich die Lederjacke kauft, wenn sie schon seit zwei Monaten wieder aus der Mode ist.
    »Wenn ich Sie finden konnte, können die das erst recht«, meinte ich.
    »Ich bin sicher, dass Roman Ihnen meine Adresse gegeben hat, aber es ist ja auch ziemlich offensichtlich, dass Sie harmlos sind.«
    »Sie wollen Ihr Leben wirklich von Romans Rückgrat abhängig machen?«
    »Roman würde mir niemals etwas tun«, sagte sie. »Er ist teils Zuhälter, teils aber auch Papi. Niemand, der mit dieser Sache zu tun hatte, kennt meinen wirklichen Namen oder diese Adresse.«
    »Wie heißen Sie denn wirklich?«
    »Diese Woche? Ist das wichtig?«
    Es war wichtig. Mit einer Adresse, einem echten Namen – und, wie ich hoffte, einem echten Vorstrafenregister – hatte ich genug Konkretes in der Hand, um Sally wieder hineinzuziehen. Aber ich musste das Thema erst mal ruhen lassen. »Darf ich Sie Deborah nennen?«
    »Schätzchen«, sagte sie in einer perfekten Marlene-Dietrich-Imitation, »du kannst mich nennen, wie du möchtest.«
    »Kommt Ihnen eine Firma namens Ridgeline Incorporated irgendwie bekannt vor?«
    »Ridgeline? Nein.«
    »Sie haben Ihren Auftraggeber ja nie getroffen«, sagte ich. »Der Kontakt lief nur über Telefonate und Überweisungen.«
    »Stimmt.«
    »Sie müssen sich doch gedacht haben …«
    »Was?«
    Ich bemerkte ihre Nägel, die so perfekt manikürt waren, dass sie an einer abgebrannten Kellnerin völlig fehl am Platz gewirkt hatten. »Dass ich ein Idiot bin.«
    »Oh nein«, sagte sie. »Überhaupt nicht. Sie waren so süß, dass ich ein richtig schlechtes Gewissen bekam.« Die Erniedrigung durchlief mich heiß, ich konnte ihr nicht in die Augen sehen. »Deswegen funktionieren die meisten Betrügereien«, erklärte sie tröstend. »Jeder wiegt sich gern in dem Glauben, dass er wichtiger ist, als er in Wirklichkeit ist.«
    Irgendwie war ihr Mitleid noch schlimmer. Ich würde niemals so sein wollen wie sie, aber wir teilten dasselbe gebrochene Versprechen, die gleichen gescheiterten Träume. Sie hatte durch den Spiegel gegriffen und mich auf den Weg des geringsten Widerstands gelockt.
    »Wie haben Sie überhaupt …?«
    »Ich habe ein Drehbuch gemailt bekommen. Das heißt, eher so eine Art Exposé. Da standen die Eckdaten drin – herzzerreißende Geschichte, krankes Kind, knickrige Krankenversicherung. Den Rest hab ich mir selber dazugedichtet. Mein Hintergrund ist zum Großteil russisch, aber das war mir zu normal. Außerdem hätte es bei meinem

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