Oder sie stirbt
schaute schnell wieder weg. Dann vertieften sich die Falten in seinem wettergegerbten Gesicht, und er schob die Unterlippe immer weiter über die Oberlippe, in dem Bemühen, ein Zittern zu unterdrücken. »Er war ein guter Junge.«
Ariana stellte den Fernseher aus. Ihr Gesicht war todernst und traurig.
»Was ist?«, fragte ich.
»Er war echt«, antwortete sie.
[home]
41
E s gab keinen Portier, nur einen Tisch mit einer Glocke drauf. Als ich klingelte, tönte aus der offenen Bürotür eine vertraute heisere Stimme: »Moment, bitte!« Ich setzte mich auf das schiefe Sofa. Die Branchenblätter auf dem Glastischchen waren vom November, und die einzige
Us Weekly
hatte man benutzt, um verschütteten Kaffee damit aufzuwischen. Ein uraltes dreckiges Schiebefenster gab den Blick frei auf eine Ziegelmauer drei Meter gegenüber. Wenn man nach oben sah, konnte man in dem kleinen Streifen Himmel eine Ecke von einer Reklametafel erkennen. Ich kannte sie – erst war Johnny Depp darauf gewesen, dann Jude Law, Heath Ledger und nun Keith Conner. Ich hatte diese Stadt so satt. Mein Ruhm hatte eine kurze Kurve beschrieben, von überholt zu erloschen, und aus meiner Perspektive sahen auch die großen Stars nicht mehr so groß aus, wie ich immer geglaubt hatte.
Schließlich ertönte die Stimme ein zweites Mal, diesmal, um mich aus dem Wartezimmer hereinzurufen. Das Büro sah aus wie ein Filmset aus den Fünfzigern. Schiefe Jalousien, Aktenstapel auf so gut wie jeder freien Fläche und eine Artischocke aus Zigarettenkippen, die aus einem Porzellanaschenbecher emporwuchs. Das Ganze war in ein gelbliches Licht getaucht, das an und für sich schon altmodisch aussah.
Hinter einem abgestoßenen Schreibtisch saß Roman LaRusso eingezwängt, und man konnte ihn nur durch einen schmalen Fluchtweg zwischen den Papiertürmen erkennen. Er war übergewichtig, aber sein Gesicht war noch mal ein Stück fetter als der Rest von ihm. Es erinnerte an Ted Kennedy, nur auf Wangenhöhe extrem verbreitert, so dass ihm die Pausbacken geradezu die Ohrläppchen nach vorne zogen. Wie es aussah, war er völlig in seine Arbeit versunken. Er schenkte mir nicht mal einen flüchtigen Blick durch die zierliche rechteckige Lesebrille, die er sich in die bebende Löwenmähne gesteckt hatte. Dabei war sein Gesicht eigentlich nicht abstoßend. Es hatte vielmehr etwas Absurdes, Magisches, etwas, das man anstarrte und bestaunte.
»Ich interessiere mich für Deborah B. Vance«, begann ich.
»Die vertrete ich nicht mehr.«
»Ich glaube schon. Und ich glaube, dass Sie sie für einen Betrug vermittelt haben.«
Er tat demonstrativ so, als würde er ein Schriftstück auf seinem Schreibtisch lesen, runzelte die Stirn über der Brille und atmete schwerfällig durch die Nase, die ein leises Pfeifgeräusch von sich gab. Dann nahm er seine Brille ab und legte sie in ein Etui, das ungefähr so groß war wie ein Nagelpolierer. »Sie sind ja bewundernswert direkt. Wer sind Sie?«
»Der Hauptverdächtige im Mordfall Keith Conner.«
»Äh …« Weiter kam er nicht.
»Sind Sie auf Werbespots spezialisiert?«
»Und Spielfilme«, ergänzte er rasch, wenn auch aus reiner Gewohnheit. »Haben Sie
Der letzte Mann in Uptar
gesehen?«
»Nein.«
»Ach so. Na ja, also, einer von meinen Kunden hat da als Alien mitgespielt.«
Fotos zierten die Wände. Ein paar erkannte ich von der Website wieder, daneben entdeckte ich Zwerge, einen Albino und eine Frau ohne Arme.
Er folgte meinem Blick. »Die Hübschen mag ich nicht. Ich vertrete Talente mit
Charakter.
Und Schauspieler mit Behinderungen. Es ist eine Art Nische, aber mir bedeutet es noch mehr. Glauben Sie nicht, ich wüsste nicht, wie es sich anfühlt, angestarrt zu werden.« Er stützte sich mit den Knöcheln auf die Schreibunterlage und versuchte, seinen Stuhl näher an den Tisch zu rücken, doch der rührte sich keinen Zentimeter. »Ich besorge meinen Kunden einen Platz an der Sonne. Jeder möchte dabei sein. Jeder möchte auch ein bisschen Sonnenschein haben.«
»Und das haben Sie also auch für Deborah Vance getan?«
»Deborah Vance, wenn Sie sie so nennen wollen, brauchte keinen, der sich um sie kümmert.«
»Was soll das heißen?«
»Dass sie eine Gaunerin war. Sie hat einsame Menschen über den Tisch gezogen, in Chatrooms und so. Sie hat den Männern E-Mails geschickt, und die haben ihr Geld überwiesen, damit sie eine Wohnung auf Hawaii für künftige Rendezvous kaufen konnte. Lauter so Zeug.«
»Diese Frau?«
»Sie
Weitere Kostenlose Bücher