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Oder sie stirbt

Oder sie stirbt

Titel: Oder sie stirbt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregg Hurwitz
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die Nackenhaare aufstellen. »Weißt du was, geh doch einfach wieder rein. Du frierst doch. Ich bin gleich wieder da.«
    »Ich muss früh raus, ich geh jetzt schlafen. Du hast also genügend Zeit, dir eine bessere Ausrede auszudenken.« Sie verschwand unter dem Dachvorsprung, und Sekunden später wurde die Haustür zugeknallt.
    Unser Dach war ziemlich steil, so dass ich mich tief duckte und immer ein Knie und einen Unterarm fest auf den Dachziegeln abstützte. Wie eine Krabbe arbeitete ich mich diagonal ganz nach oben und zum Kamin am höchsten Punkt.
    Auf dem Dach der Millers war keine Kamera.
    Aber der Blick auf die Balkone, Straßenlaternen und anderen Dächer war tadellos, von hier aus konnte man ein eventuelles Versteck am besten ausmachen. Häuser, Bäume, Hinterhöfe, Autos, Telefonmasten – ich musterte die ganze Umgebung, bis mir die Augen weh taten.
    Nichts.
    Halb enttäuscht, halb erleichtert ließ ich mich gegen den gemauerten Kamin sinken. Gerade wollte ich den Abstieg beginnen, da sah ich im Dämmerlicht etwas aufglänzen. Ganz hinten am östlichsten Rand des Daches, direkt über meinem Arbeitszimmer, stand eine Digitalkamera elegant auf ihrem Stativ und sah mich aufmerksam an.
    Mein Herz krampfte sich zusammen. Ich spürte das stille Grauen, die Art von Angst, wie man sie aus Alpträumen kennt, wenn der Horror von dem Verdacht abgemildert wird, dass es ja sowieso nur ein Traum ist. Das Stativ war nur wenige Meter vom Dachfirst entfernt und so eingestellt, dass die Kamera trotz der Schräge ein komplettes Bild einfangen konnte. Das Dach schützte die Konstruktion vor dem Wind, der, der Wetterfahne nach zu urteilen, ziemlich heftig wehte. Wer auch immer die Kamera hier aufgestellt hatte – nicht auf Dons Dach gerichtet, sondern auf die Stelle, zu der ich klettern musste, um auf Dons Dach zu blicken – hatte meine Handlungsweise vorhergesehen, hatte jeden meiner Gedanken vor mir gedacht. Über das dunkle Dach hinweg starrten die dunkle Linse und ich uns an wie die Revolverhelden beim Showdown auf einer staubigen Straße. Der Wind pfiff mir um die Ohren, und ich meinte fast, eine Melodie von Ennio Morricone zu hören.
    Ich ließ den Kamin los und verließ mich ganz auf die Gummisohlen meiner Turnschuhe, während ich zu der Stelle kletterte, wo sich die Dächer trafen. Auf allen vieren, mit staubtrockenem Mund arbeitete ich mich vor. Von hier oben sah der Abstand zum Boden viel größer aus, und der Wind mochte zwar noch keine Sturmstärke haben, aber er machte die Sache trotzdem nicht gerade gemütlicher. Als ich den Dachvorsprung erreichte und nach unten blickte, schwindelte mir. Dann sah ich die Kamera zum ersten Mal aus allernächster Nähe.
    Es war meine eigene.
    Das ausgefahrene Objektiv war auf das Dachstück gerichtet, das ich gerade überquert hatte. Kein grüner Lichtpunkt, ich war also auch nicht gefilmt worden.
    Unten heulten die Autos vorbei, Lichtkegel glitten über Metall und raubten mir kurzfristig die Orientierung. Ich lehnte mich vor und griff mir die Kamera. Keine Aufnahme gespeichert. Es war überhaupt nichts aufgenommen worden. Aber warum stand der Camcorder dann hier? Als Köder?
    Im Schlafzimmer der Millers ging das Licht aus. Nicht weiter überraschend – es war ja auch schon halb elf. Aber irgendwie fand ich es doch seltsam, dass sie ausgerechnet in dem Moment die Lampe ausknipsten, in dem ich mir die Kamera geholt hatte.
    Langsam arbeitete ich mich mit der billigen Canon – die ich so gut wie nie benutzt hatte – wieder zurück und sprang an einer Stelle vom Dach, wo ich weich im Efeu landete.
    Als ich wieder im Haus war, setzte ich mich an den schmalen Esstisch aus dunklem Walnussholz – designt von Ariana – und drehte die Kamera in der Hand. Mit ihrem Zoom, den langlebigen Batterien und der Möglichkeit, die Aufnahme gleich auf DVD zu brennen, war das Ding ziemlich idiotensicher.
    Ich ging in die Küche, klatschte mir kaltes Wasser ins Gesicht und blieb auf die Spüle gestützt stehen, während ich auf die geschlossenen Läden einen halben Meter vor mir starrte.
    Schließlich ging ich in mein Arbeitszimmer im ersten Stock. Ein abgestoßener Schreibtisch, den ich einmal bei einem Schlussverkauf ergattert hatte, nahm den meisten Raum ein. Ich warf einen Blick in den Schrank, wo ich sonst die Kamera aufbewahrte, nur um zu der dümmlichen Feststellung zu gelangen, dass die Kamera tatsächlich verschwunden war. Dann ging ich zurück ins Erdgeschoss, wo ich ziellos hin

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