Oder sie stirbt
als wir merkten, dass wir nicht recht wussten, was wir noch sagen sollten, nickte ich noch einmal. Ich spürte ihren Blick in meinem Rücken, als ich in die Garage ging und auf den Türöffner drückte. Leicht schaukelnd fuhr das Tor hoch. Ich ließ meine Tasche durch das offene Fenster auf den Beifahrersitz fallen und blieb einen Moment stehen. Ihre Worte von letzter Nacht kamen mir wieder in den Sinn:
Aber so wie jetzt kann ich unmöglich weitermachen.
In einer verschlossenen Plastikwanne auf einem der überladenen Regale konnte ich Arianas Hochzeitskleid ausmachen, das noch in der Verpackung der chemischen Reinigung steckte. Genau ihr persönlicher Stil: modern, mit traditionellen Verzierungen. Und da war sie wieder, die Wippe: Betrug und Schmerz. Wut und Trauer. Dieses verdammte In-guten-wie-in-schlechten-Tagen-Kleid wurde hier für eine Zukunft aufbewahrt, die wir vielleicht gar nicht mehr gemeinsam erleben würden.
Ich trat nach draußen, ging an den Mülltonnen vorbei und blickte durchs Küchenfenster.
Ari saß an ihrem Lieblingsplatz auf der Sofalehne und hielt sich den Bauch, als hätte sie Schmerzen. Der Becher ruhte auf ihrem Knie. Allerdings weinte sie nicht, an diesem Tag ließ ihre Miene einfach nur Desillusionierung erkennen. Sie zupfte sich die Blüte aus dem Haar, spielte gedankenverloren damit herum und starrte auf die orangefarbenen Blätter, als könnte sie die Zukunft darin lesen. Warum fühlte ich mich in diesem Moment so verlassen und zurückgestoßen?
Wollte
ich etwa, dass sie jeden Morgen weinte? Um mir
was
zu beweisen? Dass es ihr immer noch so weh tat wie mir? Das war mir so nicht bewusst gewesen, und erst jetzt merkte ich, wie kleinlich und dumm ich gewesen war.
Um ihr – nach diesen ganzen heimlichen Filmaufnahmen – keinen Schrecken einzujagen, wenn sie zufällig den Blick hob, wollte ich gerade einen Schritt zurücktreten, da stand sie auf und ging zur Tür. Sie betrachtete diese einen Moment lang, entriegelte sie einmal und verschloss sie dann entschieden wieder.
Ich verharrte noch einen Moment an meinem Platz, bis sie ins Obergeschoss verschwand.
[home]
11
D as Formosa-Café war schon ein beliebter Treffpunkt in Hollywood gewesen, lange bevor Guy Pearce als Ed Exley in
L.A. Confidential
hier Lana Turner begegnete und sie mit einer Nutte verwechselte. An der Bar unter den Schwarzweißfotos von Brando, Dean und Sinatra kippte ich einen Scotch, um mir Mut anzutrinken. Immerhin hatte ich Gesellschaft, die mir den Rücken stärkte: Durch die Fenster an der Westseite sah man die Gebäude von Summit Pictures aufragen, ebenso wie die riesige Reklame für
They’re Watching
– Keith Conners riesenhaft vergrößertes Gesicht klebte seitlich am Hauptgebäude. Von Bogart zu Conner mit einer halben Drehung des Kopfes. Mit dem Unterschied, dass Bogarts Foto zwanzig mal fünfundzwanzig Zentimeter groß war und Conners haushoch. Poetische Ungerechtigkeit.
Das Plakat, das sich über sechs Stockwerke erstreckte, ließ die vorüberfahrenden Autos umso winziger erscheinen. Man hatte es noch einmal überarbeitet, das sah man schon an dem fehlenden Stückchen am unteren Rand, unter dem noch die alte Version hervorlugte. Statt auf die verschwommene Figur, die die Treppe zur U-Bahn-Station hinunterlief, hatte man jetzt doch lieber auf einen gigantischen Keith gesetzt, der furchtlos jeglicher Gefahr entgegenblinzelte. Der Film war gerade abgedreht, der Trailer noch nicht geschnitten, aber Keith war schon jetzt in aller Munde, und so hatte man beschlossen, ihn in den Mittelpunkt der Kampagne zu stellen. Inzwischen galt er als Anwärter für die Top-Riege der Hollywood-Schauspieler. Was zum Teil meine Schuld war.
Der Barkeeper räumte mein leeres Glas ab. Da er in mir einen früheren Stammgast erkannt hatte, hatte er mich hereingewunken, obwohl offiziell noch nicht geöffnet war. Er fragte gar nicht erst, ob ich noch einen Drink wollte.
Von meinem Handy aus rief ich die Zentrale von Summit Pictures an.
»Hallo, könnten Sie mir bitte Jerry vom Sicherheitsdienst geben?«
Jerry und ich hatten uns angefreundet, als ich noch täglich im Studio gewesen war. Wir hatten uns in der Cafeteria kennengelernt, und wenig später gingen wir schon mehrmals pro Woche miteinander Mittag essen. Natürlich hatten wir nicht mehr miteinander gesprochen, seit die Dinge so aus dem Ruder gelaufen waren.
Die Klingeltöne klangen für mich wie ein Countdown. Schließlich nahm er ab. Meine Kehle war trocken, als ich
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