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Oder sie stirbt

Oder sie stirbt

Titel: Oder sie stirbt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregg Hurwitz
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vor, nickte langsam und steuerte auf die Tür zu.
    »Hör mal, Diondre … ich hab in den letzten Tagen ein paar seltsame Drohungen bekommen.«
    »Drohungen?«
    »Vielleicht könnte man es auch Warnungen nennen. Weißt du von irgendeinem Studenten, der es auf mich abgesehen haben könnte?«
    Er heuchelte Entrüstung. »Und jetzt fragen Sie einfach mal mich, weil ich schwarz bin und aus Lincoln Heights komme, oder was?«
    »Natürlich.« Ich hielt seinem Blick stand, bis wir beide loslachen mussten. »Ich frage dich, weil du die Menschen ziemlich gut durchschaust.«
    »Keine Ahnung. Die meisten Studenten mögen Sie, was ich so gehört habe. Sie benoten nicht so streng.« Er hob beschwichtigend die Hände. »Das war jetzt nicht blöd gemeint.«
    »So hab ich’s auch nicht aufgefasst.«
    »Oh.« Er schnipste mit den Fingern. »Ich wäre vielleicht ein bisschen vorsichtig mit diesem Filipino. Wie heißt der noch? Dieser Rauch-die-Bong?«
    »Paeng Bugayong?« Ein kleiner, stiller Junge, der meistens mit gesenktem Kopf in der letzten Reihe saß und zeichnete. Ich hatte ihn für schüchtern gehalten und ihn einmal aufgerufen, um ihn aus der Reserve zu locken. Daraufhin hatte er sich aggressiv lange Zeit gelassen, bis er schließlich eine einsilbige Antwort gab.
    »Ja, genau der. Haben Sie schon mal die Zeichnungen von dem Typen gesehen? Voll das abgefahrene Zeug – Enthauptungen, Drachen und so’n Scheiß. Andere Studenten haben schon Witze gemacht, dass er hier eines Tages ein zweites V Tech abziehen wird.«
    »V Tech?«
    »Virginia Tech, die mit dem Amoklauf.« Diondre formte mit den Fingern eine Pistole und schoss damit auf die leeren Sitze.
    »Früher nannten wir so was einen Ausraster«, sagte ich und verzog das Gesicht.
     
    »Verdammt noch mal«, fluchte Julianne. »Irgendjemand hat die Halterung für den Kaffeefilter kaputt gemacht.«
    » RÜCKSICHTSLOSIGKEIT ALLERORTEN . UND MR . COFFEES SCHICKSAL HÄNGT AN EINEM SEIDENEN FADEN .«
    »Hör auf mit dem Scheiß, Marcello. Ich bekomm schon Kopfschmerzen vor lauter Koffeinmangel.«
    Er sah zu mir und heischte um Unterstützung. »Erst können sie gar nicht genug kriegen, und am nächsten Tag ist man plötzlich nicht mehr angesagt.«
    »Diese Stadt kennt kein Mitleid«, sagte ich gedehnt.
    Wie immer hatten wir den Aufenthaltsraum für uns allein. Marcello hatte sich auf die zerschlissene Couch geflegelt und blätterte im
Hollywood Reporter,
während ich noch einmal die paar Arbeiten durchsah, die Paeng Bugayong abgegeben hatte, Mini-Drehbücher für Kurzfilme, die er später im Regiekurs drehen wollte. Bis dato hatte er einen Zauberer, der Sportskanonen kastrierte, einen Vandalen, der systematisch Christuskinder aus Krippen klaute, und ein Mädchen, das sich in die Unterarme schnitt, weil sie von ihren Eltern so schrecklich missverstanden wurde. Also genau das, was man von unzufriedenen Jugendlichen erwartete: ein bisschen Gothic, ein bisschen Emo, und im Grunde genommen alles ziemlich harmlos.
    Als ich die Fakultätssekretärin gebeten hatte, mir Bugayongs Akte rauszusuchen, unter dem Vorwand, ich wolle sichergehen, dass er die Entschuldigungsgründe für seine Absenzen nicht recycelte, hatte sie mir eine Sekunde zu lang in die Augen gesehen. Das nervöse Grinsen gefror mir auf den Lippen, als sie sagte, sie würde eine Anfrage in der Zentrale stellen.
    »Unterrichtet einer von euch einen Jungen namens Bugayong?«, erkundigte ich mich.
    »Komischer Name«, meinte Marcello. »Andererseits – in Korea ist das wahrscheinlich so was wie John Smith.«
    »Er ist Filipino«, korrigierte ich ihn.
    Julianne schlug mit der flachen Hand gegen die Kaffeemaschine, was diese aber wenig zu beeindrucken schien. »Ist das dieser komische Junge, eher ein bisschen kleiner, der immer aussieht, als würde er eine Zitrone lutschen?«
    »Peng Bungeejump ist also momentan dein Hauptverdächtiger?«, fragte Marcello zurück. Er begann sich langsam für den Fortgang der Geschichte zu interessieren. Oder er wollte sich einfach nicht ausgeschlossen fühlen. »Schreibt er auffällige Sachen oder was?«
    »Na ja. Wenn jemand
deine
Drehbücher liest, könnte er auch auf den Gedanken kommen, dass du vielleicht ein bisschen paranoid bist«, sagte Julianne zu mir.
    »Na, dann ist ja gut, dass sie keiner liest.« Marcello. Immer ganz auf meiner Seite.
    Julianne trat zu uns, wobei sie in einem Becher den Kaffee mit heißem Wasser verrührte. Kein Instantpulver, sondern echten, gemahlenen Kaffee.

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