Oder sie stirbt
schreiben? Ich bin fünfunddreißig. Die meisten meiner Freunde sind vollauf mit Carsharing und Kindergeburtstagen beschäftigt, und der Rest hat entweder den Sportwahn oder ist permanent auf Reisen. Irgendwie ist das ein komisches Alter, und ich kann wahrscheinlich nicht so gut damit umgehen. Irgendwie fühle ich mich plötzlich so bedrängt, und ich habe nicht besonders viel von den Dingen erreicht, die ich mir immer erhofft hatte. Das einzig Besondere, was ich in meinem Leben habe, bist du.« An dieser Stelle wurde ihre Stimme brüchig, und sie kaute auf der Unterlippe, bis sie wieder wusste, wo sie weitermachen wollte. »Ist es ein Weltuntergang, dass du nicht dasselbe für mich empfindest? Nein. Trotzdem ist es ätzend. Als ich dann mit Keith redete und er mir sagte, dass du bei Sasha bist …« Sie zückte ein Taschentuch und schneuzte sich herzhaft. »Und dann kam Don rüber, und ich dachte, vielleicht bin ich ja immer noch für eine Überraschung gut. Dass ich uns aus diesem Matsch rausziehe, in den wir hier geraten sind. Ich weiß auch nicht.« Sie schüttelte den Kopf. »Der Sex war absolut mies, falls dich das tröstet.«
»Ein bisschen.« Ich kämpfte gegen meinen Drang an, nachzufragen, was genau passiert war, jedes Detail zu eruieren, wer hat was angehabt, wer hat wessen Hand wohin gelegt. Immerhin war ich klug genug einzusehen, dass ich es nur schlimmer machen konnte, denn je mehr ich erfuhr, umso mehr wollte ich weiterfragen und noch mehr hören.
Linkisch streckte ich ihr meine Hand hin. »Ich hab dich vernachlässigt, das ist mir jetzt klar. Und Keith hat dich zu fassen gekriegt, als du gerade besonders verletzlich warst. Und als du ihm leicht auf den Leim gehen konntest. Aber ich komme einfach nicht darüber hinweg, dass du nie vorher mit mir darüber gesprochen hast.«
»Ich hab tagelang versucht, dich zu erreichen, Patrick.«
»In dem Moment war ich eben auch total am Rande meiner Nerven. Ich hab es einfach nicht mehr gepackt. Keith war nur meine Ausrede.« Ich konnte ihr nicht in die Augen sehen. »Diese Anmerkungen – seine dümmlichen Änderungsvorschläge, die ich mir jeden Morgen reinziehen musste …« Ich hielt inne. »Ich weiß, das hast du dir alles schon mal angehört. Aber ich war …«
Sie bemerkte die Veränderung in meinem Ton. »Was?«
Ich blickte auf meine Hände hinab. »Ich hatte schon so viele Kompromisse gemacht, und trotzdem habe ich noch versagt.«
Schweigend sah sie mich aus ihren traurigen Augen an.
»Ich wusste nicht, dass du dich so gefühlt hast«, sagte sie.
»Ich war nicht für dich da«, fuhr ich fort. »Okay, das geb ich zu. Eine Ehe sollte einem aber auch das Recht geben, dass man einfach eine Weile, sagen wir mal, neun Tage oder so, völlig mit sich selbst beschäftigt sein kann, ohne dass die Ehefrau mit jemand anders in die Kiste springt. Es war nun nicht gerade so, dass ich keine Gelegenheiten gehabt hätte. Mannometer, ich war an einem Filmset.«
»Ja, als
Drehbuchautor.
«
Ich musste lachen.
Sie biss sich auf die Lippe, senkte den Kopf und fuhr mit der Hand über die Tischplatte. »Sieh dir dieses Walnussholz an, Patrick. Schokoladenbraun, grobporig, gleichmäßig gemasert. Wir haben es extra in so einem Winkel zurechtgesägt, dass die Jahresringe ein besonders hübsches Muster bilden. Weißt du, wie schwierig es ist, so ein gutes Holz aufzutreiben? Da gibt es tausend Probleme: Spalten. Risse. Moder. Harzgalle. Kernsprödigkeit. Bläuepilzbefall.« Sie klopfte mit den Knöcheln fest auf die Tischplatte. »Aber dieses Holz ist fehlerlos. Ich habe das allerbeste ausgesucht.«
»Aber?«
»Gib mir deine Hand.« Sie führte meine Hand über die Tischplatte, und ich spürte eine ganz leichte Erhebung in der Mitte. »Fühlst du das? Da ist es leicht aufgeworfen. Schau mal nach oben.«
Ich folgte der Aufforderung und spürte die Luftbewegung der Klimaanlage, die auf den Tisch herunterblies.
Sie fing meinen Blick auf, als ich wieder nach unten blickte. »Vielleicht eine Feuchtigkeitsansammlung im Holz. Man kann eben doch nicht alles sehen.«
»Das ist mir noch nie aufgefallen«, meinte ich.
»Das Licht wird an der Stelle anders reflektiert. Jedes Mal, wenn ich die Treppe runterkomme, fällt es mir sofort ins Auge. Und hier …« Sie führte meine Fingerspitzen über einen dunklen Kreis, der ebenfalls eine kaum spürbare Erhebung bildete. »… haben wir über eine Maserknolle drüberlackiert. Vor drei Monaten war diese Stelle noch ganz glatt. So
Weitere Kostenlose Bücher