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Oder sie stirbt

Oder sie stirbt

Titel: Oder sie stirbt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregg Hurwitz
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wieder in den Sinn, als mir der durchdringende Ton in den Schädel sägte. Ich hastete ins Haus und stellte sie ab. Oben an der Treppe stand Ariana, die sich eine Hand an die Brust drückte und schwer atmete.
    »Tut mir leid, das war ich. Ich wollte nachsehen, ob …«
    »Und, ist wieder eine gekommen?«
    »Ich weiß nicht. Warte kurz.« Die Haustür stand immer noch offen. Ich trabte auf die Veranda, hob die Zeitung auf und durchsuchte sie, bis alle Teile auf dem Boden verstreut lagen. »Nein.«
    »Okay«, erwiderte sie, »okay. Vielleicht ist das jetzt einfach überstanden.« Sie streckte die Hand aus, um auf die Rigipswand statt auf Holz zu klopfen.
    Ich hatte meine Zweifel, aber die hatte sie genauso. Unnötig, es auszusprechen.
    Wir durchliefen unsere morgendliche Routine wie auf Autopilot geschaltet, unterdrückten die Panik und bemühten uns, die Drohung, die über unseren Köpfen schwebte, zu ignorieren. Dusche, Kaffee, kurze, höfliche Wortwechsel, Mariposa aus dem Gewächshaus. Wieder orangefarben. Ich grübelte, was für eine Schlussfolgerung ich daraus ziehen sollte.
    Nachdem ich die Aufnahmen meiner dilettantischen Überwachungskamera durchgesehen hatte, stellte ich den Camcorder wieder hinter die Palme. Dann trieb mich der schiere Bewegungsdrang nach draußen. Wieder mal stand ich in der Garage, und eine dünne Wand aus Sonnenlicht fiel durch den Türspalt auf den Kofferraum meines Autos. Das Hochzeitskleid sah mich durch die durchsichtige Seitenwand der Aufbewahrungsbox an. Zum ersten Mal seit langem spürte ich nicht das Bedürfnis, zum Fenster zu schleichen und meine Frau zu beobachten. Ich brauchte einen Moment, bis mir klarwurde, dass ich einfach Angst hatte. Dass sie weinen könnte, oder, noch schlimmer, dass sie nicht weinte.
    Ich stieg in den Camry und fuhr rückwärts auf die Auffahrt hinaus. Hinter mir zischten die Autos vorbei, der morgendliche Pendlerverkehr hatte schon eingesetzt. An schlechten Tagen konnte es geschlagene fünf Minuten dauern, bis ich mich auf die Roscomare Road einfädeln konnte. Ungeduldig trommelte ich aufs Lenkrad, ich hatte von morgens bis nachmittags Unterricht. Und außerdem einen Zettel auf dem Beifahrersitz, auf den Punch die Adresse von Keith Conner gekritzelt hatte.
    Eine Bewegung vor dem Nachbarhaus erregte meine Aufmerksamkeit. Don schlenderte zu seinem Range Rover, der in der Auffahrt parkte, und sprach dabei in sein Bluetooth-Headset. Er war in sein Gespräch vertieft und gestikulierte, als könnte er seine Argumente damit besser vermitteln. Kurz darauf kam Martinique aus dem Haus gelaufen, die ihm seinen Laptop hinterhertrug. Sie hatte Sportkleidung an, alles in Spandex, um ihren neuen Körper vorzuführen. Das war quasi ihre Uniform – diese Frau trainierte ungefähr vier Stunden pro Tag. Don blieb stehen und nahm den Laptop, und sie beugte sich vor, um ihm einen Abschiedskuss zu geben – doch er hatte sich bereits umgedreht, um ins Auto zu steigen. Er nutzte eine Lücke, die mir entgangen war, und fädelte sich in den Verkehr ein. Martinique stand reglos in der Auffahrt. Sie blickte weder ihrem Mann nach, noch machte sie Anstalten, wieder ins Haus zu gehen. Ihr unnatürlich glattes Gesicht zeigte keinerlei Mienenspiel. Da glitt ihr Blick zu mir und verriet mir, dass sie wusste, ich hatte die ganze Szene beobachtet. Sie senkte den Kopf und ging rasch ins Haus.
    Ich blieb noch eine ganze Weile so sitzen und starrte auf das schäbige Armaturenbrett, das ungerührt zurückstarrte. Dann fiel mein Auge auf den Zettel auf dem Beifahrersitz. Ich drehte das Papier um, so dass die Zeichnung von Punchs Sohn nach oben zeigte. Eine große, schlampig gemalte Sonne, händchenhaltende Strichmännchen. Ein herzzerreißendes Bild, ebenso primitiv wie sehnsüchtig.
    Ich stellte den Automatikhebel auf P und stieg aus. Als ich ins Haus kam, saß Ariana, wo sie immer saß, wenn ich wegfuhr: auf der Sofalehne. Sie wirkte überrascht.
    »Ich habe sechs Wochen versucht, irgendeinen Weg zu finden, dich nicht zu lieben«, begann ich.
    Ihr Mund öffnete sich ganz leicht. Sie hob eine zitternde Hand und stellte ihre Kaffeetasse auf den Wohnzimmertisch. »Und – hat’s geklappt?«
    »Nein. Ich bin verratzt.«
    Wir standen einander gegenüber. Ich spürte, wie sich in meinem Brustkorb irgendetwas bewegte, ein Gefühl, das sich regte, eine Blockade, die sich langsam lösen wollte.
    Sie schluckte schwer und wandte den Blick ab. Ihr Mund zitterte, als wollte er gleichzeitig

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