Oder sie stirbt
»Ich weiß«, meinte sie, nahm einen Schluck und schüttete das Gebräu sofort in den Ausguss.
»Einer meiner Studenten hat gesagt, dass der Junge psychisch wohl nicht so ganz stabil ist«, meinte ich.
»Ja, in dem Alter kann man den Charakter anderer Leute auch wahnsinnig gut einschätzen«, spottete Marcello.
»Bugayong ist doch das absolute Weichei«, mischte sich Julianne ein.
Ich zupfte an der Wundkruste an meinen Knöcheln. »Ich weiß. Er kann es nicht gemacht haben. Er hätte zwar die nötige Fantasie, aber ich bezweifle, dass er die Courage hätte.«
»Und dein Nachbar hat zwar den Nerv, aber nicht die nötige Fantasie«, fügte Marcello hinzu. »Wer hätte denn beides?«
»Keith Conner«, sagten Julianne und ich unisono.
Es beunruhigte mich ein bisschen, dass ihr Verdacht auf dieselbe Person gefallen war. Keiner der Verdächtigen wäre angenehm gewesen, aber die Vorstellung, Keith – mit all seinen Ressourcen – könnte mich ins Visier genommen haben, war ziemlich beklemmend.
Julianne ließ sich auf einen Stuhl sinken und pulte an ihrem abblätternden schwarzen Nagellack herum. »Irgendwie denkt man da nie so richtig drüber nach«, sinnierte sie. »Wie schmal ist der Grat, der ganz alltägliche Abneigung von obsessivem Hass trennt?«
»Sprichst du vom Hass des Stalkers oder von meinem?« Ich ging zur Tür. Ich wusste auch nicht recht, was ich vorhatte, aber wenn ich aus meiner ruinierten Karriere irgendetwas gelernt hatte, dann dass der Protagonist aktiv sein muss. Ich würde also nicht hier rumsitzen und auf die nächste Eskalation warten – zum Beispiel, dass der Eindringling wieder in meinem Haus stand, mit dem Camcorder
und
einem Klauenhammer.
Von hinten hörte ich Marcellos Filmtrailerstimme: » AM NEUNTEN FEBRUAR KANN SICH PATRICK DAVIS ENDGÜLTIG . NIRGENDS . MEHR . VERSTECKEN .«
»Heute ist der zehnte, Marcello«, wandte ich ein.
»Oh.« Er runzelte die Stirn. » AM ZEHNTEN FEBRUAR …«
Ich zog die Tür hinter mir zu.
[home]
13
A ls ich bei Punch Carlson ankam, saß er in einem Gartenstuhl vor seinem baufälligen Haus. Er hatte die nackten Füße auf eine Kühlbox gelegt und starrte in die Luft. Eine ganze Batterie von leeren Michelob-Bierdosen lag in Wurfweite rund um ihn herum. Punch, ein pensionierter Polizist, arbeitete als Berater auf Filmsets und brachte Schauspielern bei, wie man eine Waffe halten musste, um nicht bescheuert auszusehen.
Wir hatten uns vor ein paar Jahren kennengelernt, als ich für ein Drehbuch recherchierte, das ich dann nie verkaufte, doch wir waren über die Jahre in Verbindung geblieben und tranken ab und zu ein Bier miteinander.
Er saß im grellen Schein der Verandalampe und bemerkte mein Kommen nicht. Sein Blick war auf das Haus gerichtet, und er machte einen leicht resignierten Eindruck. Mir kam in den Sinn, dass er vielleicht Angst hatte, sich drinnen aufzuhalten. Aber vielleicht projizierte ich damit auch nur meine Gefühle auf ihn.
»Patrick Davis«, sagte er, obwohl mir nicht recht klar war, wie er mich erkannt haben konnte. Seine Aussprache war schon etwas schleppend, aber das hielt ihn nicht davon ab, sich noch eine Dose Bier aufzumachen. »Auch eins?«
Ich bemerkte das aufgeblätterte Skript auf seinem Schoß. »Ja, danke.«
Ich fing die Dose gerade noch auf, bevor sie meine Stirn traf. Dann setzte ich mich hin und nahm einen Schluck. Es war so gut, wie ein schlechtes Bier nur sein kann. Punch wohnte vier Straßen von einem verwahrlosten Stück der Playa del Rey entfernt, und die salzige Luft brannte mir in den Augen. Ein Plastikflamingo, dessen Farbe von der Sonne schon ein wenig verblichen war, stand trunken auf einem Bein. Ein paar Gartenzwerge trugen Dada-Schnauzbärte zur Schau.
»Was bringt dich nach Camelot?«, fragte er.
Ich setzte ihm mein Anliegen auseinander, angefangen von der ersten DVD , die einen Tag zuvor wie aus heiterem Himmel aus der Morgenzeitung gefallen war.
»Hört sich ganz schön scheiße an«, meinte er. »Lass lieber die Finger davon.«
»Da bereitet jemand was vor, Punch. Der Typ war bereits in meinem Haus.«
»Wenn er dir was tun wollte, hätte er es schon getan. Für meine Ohren klingt das eher wie ein ziemlich ausgeklügelter Streich. Irgendjemand, der dich provozieren will.« Er sah mich eindringlich an.
»Okay. Das wäre ihm dann schon mal gelungen. Aber ich möchte wissen, worum es eigentlich geht.«
»Vergiss es. Je mehr Aufmerksamkeit du der Sache schenkst, umso größer wird sie. Weißt
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