Oder sie stirbt
zweitens, ja, dann würden wir einen Wagen vorbeischicken.«
Ich blätterte die Fotos durch. Eines war direkt von oben aufgenommen. Valentines Funkgerät lag neben dem Abdruck. »Hat er das zum Größenvergleich da hingelegt?«
»Nein, das liegt da nur fürs Zeitkolorit. Ja. Zum Größenvergleich. Der Abdruck stammt von einem Stiefel Größe 45 . Die Marke heißt Danner Acadia, ein ganz normales, robustes Fabrikat, zwanzig Zentimeter Schafthöhe. Diese Stiefel sind superbequem, man kann sie immer wieder neu besohlen lassen. Polizisten lieben die Dinger, aber sie kosten zweimal so viel wie Hi-Techs oder Rockys, deswegen sieht man sie nicht so oft. Das sind Stiefel für den Einsatz im Freien, für Streifen oder SWAT -Teams. Detectives tragen einfach schlechte Halbschuhe.« Stöhnend hievte sie einen ausgelatschten Loafer auf die Tischkante. »Großartig, wenn man nur über das Budget einer alleinerziehenden Mutter verfügt.«
»Dieser Stiefel wird also von Polizisten getragen?«
»Ja, aber bestellen kann sie jeder. Genauso wie Handfeuerwaffen. Und wir wissen doch, dass gestörte Mitglieder unserer Gesellschaft gerne einen Fetisch aus Polizeiausrüstung machen.«
»Vor allem, wenn sie früher mal bei der Polizei gearbeitet haben.«
»Schauen Sie mich nicht so an. Ich wollte immer Astronautin werden.«
Ich ließ meinen Blick zum Aufenthaltsraum schweifen und betrachtete die schwarzen Stiefel unterschiedlichster Hersteller, die an den Füßen der Polizisten saßen. »Was für eine Schuhgröße hat Valentine?«
Sie schürzte missbilligend die Lippen. »Nicht 45 . Und als diese Aufnahmen von Ihnen gemacht wurden, war er auf Streife mit mir. Ich bin sicher, Sie haben noch bessere Ideen, Inspektor Clouseau.«
»Na ja, es sind jedenfalls keine anderen Polizisten bei unserem Haus gewesen, soweit wir wissen. Ich glaube, überhaupt noch nie.«
»Wie gesagt, es könnte ein Polizist mit einem Polizistenstiefel sein, aber es könnte auch ein Vollidiot mit einem Polizistenstiefel sein.« Sie stand auf und beendete das Gespräch, indem sie ihre Jacke überzog. »Wenn Sie was Sinnvolles tun wollen, sollten Sie lieber drüber nachdenken, wem Sie in letzter Zeit ans Bein gepinkelt haben. Oder Ihre liebe Frau.«
»Das hab ich schon«, entgegnete ich. »Wo soll ich noch nachsehen?«
»Steine gibt es überall«, meinte sie, »wir drehen normalerweise bloß nicht jeden um.«
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18
W ährend ich über die Roscomare Road heimwärts fuhr, rief ich Ariana in ihren Ausstellungsräumen an. »Ich komm heute früh nach Hause.«
»Gehst du nicht ins Kino?«, fragte sie.
»Nein, ich geh nicht ins Kino.«
»Okay. Dann mach ich jetzt auch Schluss.«
In unserem Wortwechsel schwang eine unausgesprochene, aber deutlich spürbare Aufregung mit, als wären wir verknallte Teenager, die sich gerade zu ihrem zweiten Date verabreden. Mir fiel auf, wie selten ich in den letzten sechs Wochen nach Hause gekommen war, bevor sie im Bett lag. Und jetzt war ich genauso gespannt wie nervös und wusste nicht, was dieser Abend bringen würde.
Doch ein unterschwelliges Unbehagen nagte an meinem Optimismus. Arianas Besprechung – die, für die ich den Anzug nicht abgeholt hatte – hätte am Nachmittag stattfinden sollen. Warum war sie also in den Ausstellungsräumen, als ich sie anrief? Einen Moment überlegte ich tatsächlich, ob ich noch einmal anrufen und ihre Assistentin fragen sollte. Wie Ariana ganz richtig bemerkt hatte, brauchte es nicht viel mehr als ein weißes Taschentuch und ein paar Fingerzeige in die richtige Richtung. Ich merkte, wie meine Paranoia langsam an die Oberfläche stieg, so dass ich alles hinterfragte, was um mich herum geschah, egal, wie lächerlich ich mich damit machte.
Ich fuhr am Einkaufszentrum vorbei, und an meinem Handy blinkten die Balken, die den Empfang anzeigten – in dieser Höhe gab es immer Probleme. Als ich bremste, um in unsere Auffahrt einzubiegen, befiel mich eine Vorahnung, und ich verrenkte mir den Hals, um nachzuschauen, ob wieder eine Überraschung vor der Tür wartete. Der Vorgarten sah ganz normal aus, und auf der Verandatreppe lag nichts. Doch plötzlich bemerkte ich eine ganz leichte Bewegung der Gardine. Ich erhaschte einen kurzen Blick auf eine weiße Hand, bevor sie sich zurückzog. Sie war viel zu weiß.
Denn sie steckte in einem Latexhandschuh.
Das Ganze war so bizarr, so absurd, dass ich im ersten Moment eine völlige Mattscheibe hatte. Dann nahm ich mit steigender Panik die Gestalt
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