Oder sie stirbt
intensiv gewesen, dass alles, was danach kam, nur verblassen konnte. Ich dachte an das schäbige Gemeinschaftsbüro in Northridge, die unbezahlten Anwaltsrechnungen und an Ari, wie sie weinend auf der Sofalehne saß, an unsere dämlichen Nachbarn, meine unvollendeten Drehbücher, das Lehrerzimmer mit der kaputten Kaffeemaschine, die Hi-wie-geht’s-denn-so-Gespräche mit Bill, dem Supermarktkassierer. Ziemlich blass neben den Träumen, die ich als Kind gehabt hatte, wenn ich auf dem Spielfeldrasen lag und mir die kühle Luft von New England in die Wangen biss, die mich jeden Moment spüren ließ, wie lebendig ich war. Aliens und Cowboys. Astronauten und Feldspieler. Hey, vielleicht könnte ich sogar eines Tages ein Drehbuchautor werden und irgendwann Werbung für meinen Film auf einem Bus sehen.
Ich dachte daran, was Ari erzählt hatte, wie die Welt sie auf einmal so bedrängte, wie ihr Leben eigentlich gar nicht so wurde, wie sie es sich immer erhofft hatte. Das Wort »Soulmate« war bei unserer Hochzeit mehr als einmal gefallen, und jetzt standen wir hier in guten und schlechten Zeiten. Irgendwie zusammen, aber irgendwie eben auch nicht. Mein Besuch bei Doug Beeman hatte diese Stagnation durchbrochen, und ich drang endlich zum Wesentlichen vor. Ich hatte keine Lust, mich für dieses Gefühl zu rechtfertigen.
Die Rottweiler zerrten an den Leinen, also verabschiedeten wir uns von unserer Nachbarin, die uns lächelnd zuzwinkerte: »Schönen Valentinstag noch, ihr zwei.«
Das hatten wir total vergessen. Während sie mit ihren zwei Hunden davontrottete, gefror uns das Lächeln auf den Lippen, und wir tauschten einen misstrauischen Blick. Wir hatten nicht vergessen, wo unser Gespräch stehengeblieben war, bevor uns unsere Nachbarin über den Weg lief. Unsere Atemwölkchen vermischten sich.
»Ich glaube …« Es fiel mir schwer, diese Worte über die Lippen zu bringen. »Ich glaube, ich weiß gar nicht mehr, wann ich mich zum letzten Mal wichtig gefühlt habe.«
»Wenn du wichtig sein willst, warum versuchst du das nicht lieber in deinem eigenen Leben?« Arianas Tonfall war weder grob noch verurteilend, aber was sie sagte, tat mir so weh, dass ich den Blick senkte.
»Ich hab’s mir nicht so ausgesucht«, sagte ich.
»Das haben wir beide nicht. Und wir werden da nicht heil rauskommen, wenn wir nicht einen klaren Kopf bewahren und die Augen offen halten.«
Auf dem nassen Asphalt lagen hilflose, schlaffe Regenwürmer wie blasse Schnörkel. Wir gingen heimwärts, und während wir die leichte Steigung nahmen, beugten wir uns mit gesenkten Köpfen gegen Regen und Wind. Als wir vor Don und Martiniques Haus vorbeikamen, waren wir schon wieder eine Schrittlänge voneinander entfernt.
Die Tüten mit der vietnamesischen Aufschrift, die auf dem Beifahrersitz standen, verströmten den verführerischen Duft nach Ingwer und Kardamom. Vom dampfenden Essen beschlug die Windschutzscheibe, und ich musste das Fenster einen Spalt öffnen, um die Nachtluft hereinzulassen. Obwohl Ariana und ich zu Hause höflich miteinander umgegangen waren, hatte unser Streit unseren erst kürzlich wiederhergestellten Kontakt wieder etwas gestört, und zum Zeichen meines guten Willens hatte ich angeboten, das Essen abzuholen.
An der roten Ampel schien das Klick-klick-klick meines Blinkers meine eigene Rastlosigkeit zu spiegeln. Ich schaute über drei Fahrbahnen hinweg in die Richtung, aus der ich gekommen war. Das nass glänzende Firmen-Logo von Kinko’s ragte hinter dem großen Schild vor der Kirche hervor. Noch einen halben Block. Eigentlich lag es sogar auf der Strecke, die ich manchmal auf dem Nachhauseweg nahm, also war es nicht mal ein richtiger Umweg. Ich trug Stiefel statt der Nikes, so dass meine Verfolger nicht unbedingt wissen konnten, wo ich mich im Moment aufhielt. Mein Blick glitt zum Rückspiegel, dann wieder auf die Straße. SO WIRD EINES JEGLICHEN WERK OFFENBAR WERDEN stand dort in großen Buchstaben, ein Zitat aus den Korintherbriefen, das ich als Zeichen nahm.
Das Wetter hatte viele der dünnhäutigen Bewohner von L.A. in ihre vier Wände verbannt, also setzte ich einfach zehn Meter zurück, fuhr über die leeren Fahrbahnen und bog rechts ab. Ich fragte mich selbst – wollte ich mich wirklich so anbieten, indem ich ganz allein diesen Hügel hinunterfuhr? Ich klopfte mit den Fingern aufs Lenkrad, um meine wachsende Aufregung irgendwie abzureagieren. Als ich am Einkaufszentrum vorbeifuhr, ging ich vom Gas und starrte mit
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