Odessa Star: Roman (German Edition)
sagen lassen, in dem Teich hätten sich Frösche angesiedelt. Für manche hat das etwas Ländliches, andere können dem nicht viel abgewinnen …«
Und dann fragte er, ob wir das Erdgeschoss noch sehen wollten; es spiele keine Rolle, ob die Mieterin zu Hause sei, ich sei schließlich der neue Besitzer, dem die »armselige Miete« von zweihundertsechsundachtzig Gulden überwiesen werden müsse. Wenn ich die Dame davon überzeugen könne, auf meine Kosten eine Zentralheizung und Doppelfenster einbauen zu lassen, könne ich die Miete mit einem Schlag auf über tausend Gulden erhöhen.
»Wie alt ist Ihr Sohn?«, fragte er.
»Neun«, sagte Christine.
»Kinder in dem Alter machen viel Krach«, sagte der Makler in verschwörerischem Ton. »Oder drehen die Musik auf volle Lautstärke. Die baldige Übersiedlung in ein Pflegeheim, sagen wir mal, liegt zum Teil in Ihrer Hand.«
Ich erinnere mich noch sehr gut an meine Antwort: Ich brauche die untere Wohnung eigentlich nicht zu besichtigen, der Blick auf den Garten habe mir schon einen Eindruck vermittelt. Das Ganze spielte sich, wie ich bereits sagte, im März ab.
Mitte April zogen wir ein, und Anfang Mai, am ersten warmen Tag des Jahres, war da zum ersten Mal dieser Geruch. Erst dachte ich, er käme von draußen – es gibt solche Tage, an denen ländliche Düfte den Stadtrand erreichen –, aber es dauerte nicht lange, bis uns klar wurde, dass er aus dem Haus selbst kam. Aus dem Erdgeschoss, um genau zu sein.
Es war eine Geruchsmischung aus Kamelstall und versifften Kloanlagen, wie man sie vor allem auf Campingplätzen antrifft. Süßsauer, aber mit einem Schuss Ammoniak, sodass einem die Tränen in die Augen stiegen. Der Geruchkam aus den Ritzen im Parkett, blieb im Flur hängen wie Nebelschwaden über einem Sumpf und breitete sich dann, gemächlich, aber zielstrebig, wie eine bösartige Krankheit bis zur höher gelegenen Etage aus, wo sich unsere Schlafzimmer befanden.
Aber wo sich der Geruch vor allem aufhielt, besser gesagt, wo er herkam, war im unteren Treppenhaus. Hier befand sich die Quelle, hier war unverkennbar der Ort, wo er entsprang, hier offenbarte er sich in seiner konzentriertesten und erstickendsten Form.
In dem amerikanischen Film Backdraft – Männer, die durchs Feuer gehen haben Feuerwehrleute mit heimtückischem Rauchgas zu kämpfen, das sich durch Zufuhr von Sauerstoff in gewaltigen Explosionen entladen kann. Daran musste ich denken, als ich an jenem ersten warmen Maitag die Haustür öffnete.
Was mir entgegenschlug, ließ mich unwillkürlich die Hand vor Mund und Nase halten. Dass die Geruchsschwaden unsichtbar waren, machte sie nur umso bedrohlicher. Während ich hustend und nach Luft schnappend in das dämmrige Treppenhaus starrte, auf den schmalen Lichtstreifen, der durch die Öffnung des Briefkastens auf die Türmatte projiziert wurde, beschlich mich das Gefühl, was da lauere, sei stärker als ich, jeden Moment könnte es sich zusammenballen und explodieren, woraufhin ich, genauso wie die unglücklichen Feuerwehrleute in Backdraft, nur noch als verkohlter Rumpf mit großer Kraft rückwärtsgeschleudert würde, quer durch das ganze Haus und durch die berstende Küchentür nach draußen, über den Balkon in den Garten, wo der Rumpf noch stundenlang im Gras vor sich hin schwelen würde.
In der Diele war unsere Garderobe. Es dauerte nicht lange, bis der Geruch sich an unsere Jacken und Mäntel heftete, sodass wir ihn auch mit nach draußen nahmen. Nachein paar Tagen roch ich ihn im Auto. Ich roch ihn, wenn ich im Büro die Jacke anzog, und ich roch ihn, wenn ich nach Hause fuhr. Vor der Haustür schlug er mir mit voller Wucht aus dem Briefkasten entgegen; nun hieß es, die Lungen vollzusaugen und mit angehaltenem Atem die vierzehn Stufen nach oben hinter sich zu bringen.
Es dauerte noch etwas länger, bis uns klar wurde, dass wir den Geruch nie mehr loswerden würden. An warmen Tagen war er zwar am stärksten, aber auch bei kühlerem Wetter war er nie ganz weg. Er blieb jetzt auch an Sachen hängen, die bis dahin unbehelligt geblieben waren, vorzugsweise an Textilien. Ein frisch gebügeltes Hemd roch, wenn ich es aus dem Kleiderschrank nahm, nicht mehr nach Waschmittel und Bügelbrett, sondern nur noch nach einem schlecht gelüfteten Kamelstall.
Im Büro konnten sie nicht gleich die Quelle lokalisieren, aber dann blieben die Bemerkungen natürlich nicht aus. »Die Gülle schon ausgestreut, Fred?«, fragten sie und schnupperten am Kragen
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