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Odessa Star: Roman (German Edition)

Odessa Star: Roman (German Edition)

Titel: Odessa Star: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herman Koch
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oder eine bestimmte Geschichte etwas über mich selber deutlich zu machen, wassich nicht so ohne Weiteres im Gespräch von Mensch zu Mensch in Worte fassen lässt.
    Wenn dem anderen im gleichen Augenblick wie mir, kurz vor dem Einsetzen des Gitarrensolos in einer seit Jahren rauf-und runtergenudelten Nummer, der gleiche kalte Schauer den Rücken hinunterläuft, dann ist etwas passiert, was nie mehr ungeschehen gemacht werden kann. Zuckt der andere dagegen mitten in der Nummer die Achseln oder redet achtlos über das Solo hinweg, dann ist er oder sie für mich im Grunde schon klinisch tot, so einfach ist das.
    Wer wie Jan Vriend – Loser von Beruf und Bruder meiner Frau – behauptete, Deep Impact sei »der soundsovielte dumme Katastrophenfilm«, dem war faktisch schon nicht mehr zu helfen. Was man auch über meine Frau sagen mag, sie war jedenfalls bereit, mitzukommen, einen Versuch zu machen, zu verstehen, was mich an diesem Film so berührt hatte – damals jedenfalls.
    Max G. lehnte im Foyer mit einem Ellbogen auf dem Tresen und redete in sein Handy; mit zwei Fingern der anderen Hand hielt er sich das freie Ohr zu. »Wenn du es machst, ist es besser, du machst es genau so, wie ich es dir sage«, verstand ich. »Wenn du es nicht so machst, wie ich es dir sage, lässt du es besser ganz sein.«
    Max war höchstens ein paar Kilo schwerer geworden; sein Haar hatte sich etwas gelichtet und lag ein wenig platter am Kopf an. Schwarz war immer noch seine Lieblingsfarbe; ein teures Markenhemd hing ihm locker über den Hosenbund. Um den Hals trug er ein dünnes Goldkettchen, und auch eines oben auf seinen schwarzen Slippern.
    Ich trank rasch mein Bier aus und bestellte ein zweites. Meine Frau schüttelte erst den Kopf, als ich sie fragend ansah, gab dann aber doch nach. Was uns bevorstand, war die zweite Hälfte von Deep Impact, der Teil, in dem alles von kilometerhohen Wogen verschlungen wird, und ich hegte dievage Hoffnung, sie würde mit zwei Gläsern Weißwein im Kopf eher verstehen, worum es mir ging.
    Max hatte sein Telefongespräch beendet. Er steckte das Handy in seine linke Hemdtasche, schüttelte ein paarmal den Kopf und sah sich dann suchend um. Sein Blick streifte den Hinterkopf meiner Frau, dann trafen sich unsere Blicke, doch er gab kein Zeichen des Erkennens.
    »Wird die ganze Erde am Ende zerstört?«, fragte meine Frau. »Oder bleiben noch ein paar Leute am Leben?«
    Sie gab sich redlich Mühe, uns den Abend zumindest nicht durch uferlose Diskussionen über den zu dünnen Handlungsstrang des Films zu vermiesen. Aber nicht nur ihr Blick, auch der Ton, in dem sie die Frage stellte, passte eher zu einer Mutter, die ihren Sohn in ein Geschäft für Modelleisenbahnen mitnimmt und geduldig wartet, bis er seine Wahl getroffen hat, als zu einem Gespräch zwischen Mann und Frau über den weiteren Verlauf eines Katastrophenfilms.
    »Willst du das wirklich wissen?«, fragte ich. »Bei einem Thriller willst du doch auch nicht hören, wie es ausgeht.«
    Meine Frau kniff die Augen zusammen und nippte an ihrem Wein. »Es ist aber kein Thriller, Schatz«, sagte sie schließlich. »Es ist eher ein …«
    Ich ließ sie nicht ausreden; Max hatte sich vom Tresen gelöst und kam in unsere Richtung. Als er schon fast an uns vorbei war, legte ich ihm die Hand auf den Arm. »Max!«, sagte ich – es hörte sich überzeugend an, als hätte ich ihn gerade erst in diesem Moment erkannt. Max G. sah leicht verärgert auf meine Hand und dann zu mir auf.
    »Fred«, sagte ich. »Obersekunda.«
    Sein Gesicht nahm einen grübelnden Ausdruck an, wie bei einem Weinkenner, der an der soeben entkorkten Flasche aus einem etwas obskuren Jahr schnuppert. Er fasste sich an die Nase und schüttelte dann den Kopf.
    »Tut mir leid«, sagte er, »Sie müssen sich irren.«

    Er wandte sich wieder zum Gehen. Ich streckte die Hand nach ihm aus, diesmal ohne ihn zu berühren.
    »Fred Moorman«, sagte ich. »Er spürt, dass er dir trauen kann. Ab heute bist du sein Freund.«
    Max starrte mich an. Seine Hand verschwand erst in der Hemdtasche, in die er gerade sein Handy gesteckt hatte, dann angelte er sich aus der anderen Brusttasche eine Schachtel Marlboro.
    »Max!«, ertönte in diesem Moment eine Stimme. An der Treppe zu den Toiletten stand eine Frau, die aufgeregt mit den Händen gestikulierte. »Meine Tasche!«, rief sie.
    Jetzt erst fiel mir der Mann auf, der sich in großer Eile einen Weg durch die dicht gedrängte Menschenmenge bahnte; um den Ausgang

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