Odessa Star: Roman (German Edition)
Inspektion«, sagte ich. Mit meiner eigenen Stimme, wie ich zu spät merkte. »Am liebsten diese Woche noch.«
»Das wird wohl gehen«, sagte Henk. »Einen Augenblick bitte.«
Ich hörte das Klappern von Tasten. Neben mir stoppte ein roter Fiat. Es war ein Multipla wie aus dem Prospekt; eher als einem Frosch oder einer Kröte ähnelte er eigentlich einem missgebildeten Daumennagel. Am Steuer saß ein glatzköpfiger Mann, der sich mit Gebärden erkundigte, ob der Parkplatz frei würde.
»Scher dich weg!«, zischte ich durch das geschlossene Fenster und schüttelte heftig den Kopf.
»Sind Sie noch da, Herr G.?«, hörte ich Henk Leemhuis sagen.
»Ja.«
»Freitagmorgen, würde Ihnen das passen?«
»Ausgezeichnet.«
»Jetzt bräuchte ich bitte noch das Kennzeichen.«
Das hatte ich mehr oder weniger einkalkuliert. Jetzt galt es, schnell das Thema zu wechseln. »Etwas anderes, Henk«, sagte ich. »Darf ich Henk sagen?«
»Natürlich, Herr G.«
»Könnte ihn jemand bei mir abholen? Ich muss nämlich Freitagmorgen wegen einer kleinen Sache zu Hause bleiben, und es wäre schön, wenn ich dann nicht zwischendurch rausmüsste.«
Ich wusste nicht, ob Max »kleine Sache« gesagt hätte. Aus meinem Mund klang »kleine Sache« eher nach einem Vogel, den ich am Morgen tot in seinem Käfig gefunden hatte.
»Das lässt sich machen«, sagte Henk. »Sie wissen aber, dass zusätzliche Kosten damit verbunden sind?«
»Das ist kein Problem.«
Wieder Tastengeklapper.
»Das wäre vorgemerkt«, sagte Henk. »Freitagmorgen. Gegen halb neun, passt Ihnen das, Herr G.?«
Ich antwortete nicht sofort, weil ich im Rückspiegel David auf dem Rad den Middenweg überqueren sah. Möglich wäre es schon, dass er an mir vorbeiradeln würde, ohne mich zu bemerken. Andererseits saß ich hier natürlich in einem lila Twingo, ein Handy am Ohr und auf der Nase eine Sonnenbrille von ein paar Tausend Gulden.
»Herr G. …?«
Ich atmete tief ein. Es war heiß im Auto, und ich hatte Lust, das Fenster herunterzukurbeln, aber es war nicht der geeignete Moment.
»Hör mal zu, Henk«, sagte ich, während ich den Rückspiegel nicht aus den Augen ließ. »Letztes Mal hab ich ihn auch abholen lassen, aber da seid ihr aus Versehen zu meinem Wochenendhaus gefahren. Die Mühe würde ich euch gern ersparen, also …«
David war auf der Höhe des Twingo angelangt. Im Vorbeifahren ließ er die Hand mit einem lauten Schlag auf das Dach fallen; ich schoss in meinem Sitz hoch und hätte fast das Handy fallen lassen.
»Hier steht nur Gerrit van der Veenstraat 69, dritter Stock«, sagte Henk Leemhuis von der Mercedes-Garage. »Das ist nicht Ihr Wochenendhaus, nehme ich an.«
»Nein.«
»Sie sind unser einziger Kunde in Amsterdam mit einem Modell dieser Serie in Silbergrau. Wir haben dieses Jahr zwar noch ein paar schwarze verkauft, auch mit offenem Dach, aber mit einem silbergrauen sind Sie immer noch was Besonderes in der Stadt.«
»Ja«, sagte ich.
David war winkend weitergeradelt. Dann wandte er sich doch noch um; er hatte ein breites Grinsen auf seinem Gesicht. Sein Finger an den Lippen konnte nur »Ich halte dicht« bedeuten.
12
Ich parkte den Twingo vor dem AKO -Buchladen an der Ecke Gerrit van der Veenstraat und Beethovenstraat. Erst blieb ich eine Weile vor dem Ständer mit den ausländischen Zeitungen stehen, die Hände in den Hosentaschen, und schlenderte dann über den Zebrastreifen auf die andere Straßenseite.
Nr. 69 war gar nicht weit von der Ecke; die Vorhänge im dritten Stock waren noch zugezogen. Ich machte mich auf die Suche nach einem silbergrauen Mercedes, aber der war nirgends zu sehen, auch nicht in der Antonie van Dyckstraat und auch nicht auf dem hinter der Gerrit van der Veenstraat gelegenen Albert Hahnplantsoen. Aber wahrscheinlich würde Max ein solches Auto auch nicht einfach auf der Straße stehen lassen, sondern es in einer Garage abstellen.
Als ich wieder vor dem Haus stand, waren die Vorhänge immer noch geschlossen. Die Abwesenheit des Mercedes und die geschlossenen Vorhänge konnten natürlich auch bedeuten, dass Max und Sylvia auf unbestimmte Zeit verreist waren. Im AKO -Buchladen blätterte ich eine Weile in Zeitschriften, kaufte mir den Telegraaf und überquerte wieder die Straße. Am Zustand der Vorhänge hatte sich nichts geändert. An der Tür studierte ich die Namen neben den Briefkästen; für die Wohnung im dritten Stock fehlte dasNamensschild. Ich überlegte, ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen
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