Odessa Star: Roman (German Edition)
aus Thelma & Louise musste ganz in der Nähe sein.
»Ein Gefühl der Freiheit begleitet den Jeep-Fahrer bis in die entferntesten Winkel unseres Planeten«, las David vor.
Ich nahm rasch einen großen Schluck aus der Flasche. »Na ja«, sagte ich lachend, »irgendwas müssen sie ja schreiben.«
David schlug die Broschüre zu und nahm den ganzen Stapel vom Tisch. Er schaute sich jetzt nur die Umschläge an.
»Du hast noch keinen Schluck getrunken«, sagte ich.
»Das hier ist wohl nicht ernst gemeint, was?«, fragte er. Seine Hände lagen auf dem Citroën-Katalog.
Ich holte tief Luft. »Das ist mehr für Mama«, sagte ich. »Für den Fall, dass Mama vielleicht auch …« Ich spürte mein Gesicht heiß werden. Die Flasche in meiner Hand fühlte sich ziemlich gewichtslos an, und als ich genauer hinschaute, sah ich, dass sie leer war.
»Und das hier?«, fragte David. »Das ist doch wohl hoffentlich auch ein Scherz!« Er hielt den Fiat-Katalog hoch.
»Na ja, Fiat ist italienisch«, sagte ich. »Und sie arbeiten jetzt mit Alfa Romeo zusammen, wusstest du das? Das sieht man den Entwürfen auch an …«
»Scheiß drauf«, sagte David. Er schlug die erste Seite des Prospekts auf, auf der der neue Fiat Multipla abgebildet war. »Schau dir das doch mal an! Sieht doch aus wie ein Frosch. Ein kranker Frosch. Oder sonst ein verschrecktes Tierchen auf vier Beinen. Igitt! Hast du den schon mal in echt gesehen? Also, ich schon. Wer so was fährt, ist arm dran. Wahrscheinlich soll es originell und verrückt aussehen, das ist noch das Schlimmste. Dass Leute, die sich so ein Auto kaufen, glauben, davon würden sie selber auch origineller und verrückter.«
Er warf den Stapel auf den Tisch zurück, wobei ein paar Prospekte auf dem Boden landeten. Wir starrten eine Weileschweigend vor uns hin; im Fernseher rannte ein junges Mädchen mit einem Pony an einem Seil über eine Wiese.
»Was würdest du denn wollen?«, fragte ich schließlich. »Ich meine, wenn du die Wahl hättest.«
David stöhnte. Das Pony hinkte, stellte ich fest.
»Einen Ferrari fände ich cool«, sagte er. Er grinste und setzte die Flasche an. »Ja, das wäre schon geil, so ein roter Ferrari, der hier in diese Kackstraße reinfährt. Schön tief, mit der Unterseite knapp über all diesen popeligen Bodenschwellen, dafür aber dieser Ton unter der Motorhaube, damit alle kapieren, dass neue Zeiten angebrochen sind.«
Im Fernsehen hatte das Mädchen die Arme um den Kopf des Ponys geschlungen. Eine Träne kullerte ihr über die Wange. Auch ohne Ton war klar, dass das Pony nicht mehr lang zu leben hatte.
»Vielleicht ist ein Ferrari zu teuer«, meinte David. »Wenn Geld ein Problem ist, würde ich einen Porsche nehmen. Der sieht immer gut aus. Stinger-System rein und los.«
»Was rein?«, fragte ich.
»Stinger. Das ist so ein Ding, das pfeift, sobald du in die Nähe einer Geschwindigkeitskontrolle kommst. Es reagiert auf Radar, über einen Satelliten. Also kannst du ruhig voll auf die Tube drücken, solange es nicht pfeift.«
Er beugte sich vor und nahm sich den Volvo-Katalog. »Der ist okay. Aus Schweden. Für die ganze Familie.«
»Ja«, sagte ich.
»Aber eigentlich doch ein bisschen popelig.« Er setzte die Flasche erneut an die Lippen, warf den Kopf in den Nacken und gluckerte das Bier in einem Zug hinunter. Dann wischte er sich mit dem Handrücken den Mund ab und rülpste laut. »Man sieht es den Leuten in Volvos einfach an, dass sie echt glauben, sie hätten sich was richtig Schönes angeschafft«, sagte er. »Und das ist eben das Popelige daran.«
Das traurige Mädchen hatte einen verständnisvollen Vater, der das Pony hinter die Scheune führte, um ihm, ohne dass sie es mitansehen musste, den Gnadenschuss zu geben. Das Mädchen hielt sich weinend die Ohren zu.
»Ich dachte eher an einen Geländewagen«, sagte ich. »Einen Landrover oder so. Einen Cherokee …«
David schloss die Augen. »Ja, warum nicht«, sagte er, ohne die Augen zu öffnen. »Geländewagen, prima. Cool. Nur sehe ich dich hier vor der Tür nicht aus so einem Jeep steigen. Ich weiß nicht, das sind einfach zwei Sachen, die nicht matchen, verstehst du? Wie wenn man zwei Zeichnungen auf Pauspapier übereinanderlegt und sie ergeben einfach nie ein scharfes Bild. Und selbst wenn. Ich meine, hier in der Straße macht das ja vielleicht noch Eindruck, so ein Geländewagen, aber in Zuid ist ein Cherokee nicht mehr als der Zweitwagen gelangweilter junger Mütter, mit dem sie ihre Kinder von
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