Odessa Star: Roman (German Edition)
der Schule abholen.«
Im Fernseher hatte das Pony ein Grab bekommen. Mit Blumen drauf. Das Mädchen warf eine Kusshand. Im Hintergrund ragten die Gipfel der Rocky Mountains erhaben und weiß in den Himmel.
Es dauerte noch drei Wochen, bis ich kapierte, dass Max G. und Richard H. nicht mehr zum Timbuktu kommen würden. Wie sonst trank ich nach meiner Joggingrunde ein Bier auf der Terrasse und sah den Schiffen zu, die zwischen den Molen hindurch aufs offene Meer hinausfuhren. Auf dem Parkplatz konnte ich die Stelle, an der ich vor kaum vier Wochen meinen Opel geparkt hatte, noch am Ölfleck auf dem Asphalt erkennen.
Ohne Musik fuhr ich am Nordseekanal entlang nach Amsterdam zurück. Ich kam am Seitenkanal B vorbei und auch an der Abzweigung zu dem Gelände mit den Lagerhallen und Autowracks. Ich überlegte, was ich tun sollte. Ich hatte weder eine Telefonnummer noch eine Adresse, amAbend meines Geburtstags hatte Max nur »ein Restaurant in Ouderkerk« erwähnt, wo sie gerade gegessen hätten. Statt hinter dem Hauptbahnhof nach Watergraafsmeer weiterzufahren, nahm ich die Ausfahrt zum Piet Heintunnel und fuhr über die A10 auf die A9 nach Ouderkerk. Ich drehte ein paar erfolglose Runden an den Terrassen vorbei, bestellte mir dann einen Pfannkuchen mit Speck gegenüber dem jüdischen Friedhof und sah den Enten und den Kajütbooten zu, die sich auf dem regungslosen Wasser der Amstel tummelten.
Ich schlenderte durch das Dorf und studierte die Speisekarte neben der Tür eines Restaurants. Auf dem dazugehörigen Parkplatz standen zwei Jaguars, mehrere BMW s und ein Mercedes, doch das silbergraue Cabriolet war nicht dabei. Ein Paar kam aus dem Restaurant und nickte mir zu. Die Frau hatte sich bei dem Mann eingehakt. Er hielt ihr die rechte Tür eines der Jaguars auf und half ihr beim Einsteigen.
Ich ging zu meinem Twingo zurück und fuhr nach Hause.
Ohne meine Laufschuhe auszuziehen, ließ ich mich aufs Sofa fallen. David besuchte übers Wochenende einen Freund, dessen Eltern ein Ferienhaus in Egmond aan Zee hatten. Auch Christine war unterwegs, ich konnte mich nicht mehr erinnern, wohin. Ich dachte an alle wahrscheinlichen und unwahrscheinlichen Orte, an denen ich Max »zufällig« über den Weg laufen könnte, und sah mich schon an einem Samstagnachmittag stundenlang Zeitung lesend auf einer Terrasse in der P. C. Hooftstraat sitzen.
Auf dem Couchtisch lagen immer noch die Autoprospekte. Ich angelte mir den Mercedes-Katalog heraus. Auf die Rückseite war die Adresse des hiesigen Vertragshändlers gestempelt; derselbe, bei dem ich mir den Katalog vor nun über einem Monat geholt hatte. Bei der Gelegenheit hatte ich mich auch eine Viertelstunde im Showroom herumgedrückt, aber offenbar hatte keiner der anwesenden Verkäufer in mir einen potenziellen Käufer gesehen, denn niemand sprach mich an.
Unter der Adresse standen die Telefon-und die Faxnummer. Ich sagte sie dreimal laut auf. Dann ging ich zum Kühlschrank und nahm ein Bier heraus. Mit geschlossenen Augen leerte ich die Flasche halb und wiederholte die Nummer. »Gespeichert«, sagte ich und kippte den Rest der Flasche hinunter.
Am nächsten Morgen ging ich vor acht Uhr aus dem Haus. Für alle deutlich sichtbar trug ich die Laufschuhe. In der Küche stand meine Frau und schmierte Butterbrote für David.
»Ich geh vor der Arbeit erst noch ein bisschen joggen«, sagte ich, obwohl ich mir vorgenommen hatte, nichts zu sagen.
Meine Frau schaute nicht auf. In der Wohnungstür blieb ich noch ein paar Sekunden stehen, aber als ich nichts hörte, ging ich.
Ich fuhr die Pythagorasstraat hinunter, bog links in den Hogeweg ein, überquerte den Middenweg und parkte den Twingo gegenüber dem Frankendaelpark. Ich gab die Nummer in mein Handy ein. Nach dem ersten Klingelton nahm ich Richard H.s Sonnenbrille aus dem Handschuhfach und setzte sie auf.
»Mercedes-Garage Henk Leemhuis am Apparat, guten Morgen, was kann ich für Sie tun?«, sagte eine hohe Stimme am anderen Ende der Leitung.
Ich holte tief Luft. »Max G.«, sagte ich mit einer Stimme, die nicht wie meine klang, aber auch nicht wirklich wie die eines anderen.
»Guten Morgen, Herr G., was kann ich für Sie tun?« Es hatte etwas Befreiendes, dass wir nun beide Max’ Nachnamen vollständig ausgesprochen hatten, als wären Henk Leemhuis und ich an einem Komplott beteiligt, bei dem der vollständige Nachname von Max als Erkennungszeichen galt.
»Ich würde gern einen Termin machen für eine 24 000er
Weitere Kostenlose Bücher