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Odessa Star: Roman (German Edition)

Odessa Star: Roman (German Edition)

Titel: Odessa Star: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herman Koch
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lassen sollte, also auch anHalbmenschen, die nicht hundertprozentig funktionieren. Aber vielleicht würde sich nach dem aufrichtigen Kummer über den Verlust irgendwann auch Erleichterung einstellen, wie nach einem langen, schmerzvollen Krankenlager.
    Der Mongo schlug wild mit den Handflächen aufs Wasser. Er lachte noch, aber auf seinem stumpfsinnigen Gesicht war inzwischen auch eine gewisse Unruhe wahrzunehmen: Er blickte zur Seite, wie um den Abstand zum Beckenrand einzuschätzen. Ich war jetzt keine zwei Meter von ihm entfernt. Wo war der Ball? Er schaukelte beim Sprungbrett. Als der Mongo meinem ausgestreckten Zeigefinger mit dem Blick folgte, nutzte ich die Gelegenheit und schob mich noch näher heran. Ich stellte meine Füße fest auf den Boden und breitete die Arme auf der Wasseroberfläche aus, damit er sie sehen konnte und annahm, dass von ihnen keine Gefahr ausging.
    »Papa …«
    Ich brauchte höchstens eine Sekunde, um mir darüber klar zu werden, dass nicht der Mongo das gesagt hatte, sondern mein eigener Sohn. Im nächsten Moment tauchte David rechts oben im Bild auf; er hockte sich an den Beckenrand. »Papa …?«
    Ich stieß mich mit den Füßen ab und schüttelte den Kopf hin und her, aber ich war die ganze Zeit gar nicht unter Wasser gewesen, fiel mir zu spät ein, mein Haar war noch trocken.
    »Was machst du denn da?« Ich sah etwas wie Besorgnis in Davids Blick, wenngleich mir schleierhaft war, worüber er sich Sorgen machte.
    »Nichts«, sagte ich lachend. »Wir haben gespielt … Sein Ball«, ich zeigte auf den Mongo, der von mir zu David blickte, »sein Ball war ins Wasser gefallen … Nein, also, aus dem Wasser gefallen. Er war aus dem Swimmingpool gefallen … Und dann …«

    »Was hast du?«, fragte David.
    »Was?«
    »Was hast du? Du … du zitterst ja …«
    Ich schlug die Arme übereinander. »Mir ist kalt«, sagte ich. »Ich muss aus dem Wasser.« Ich watete zur Treppe.
    »Nein, ich meine, deine Unterlippe zittert.«
    Ich lachte. »Ich klappere mit den Zähnen, Junge. Ach, gib mir doch mal mein Handtuch.« Ich hielt mich am Beckenrand fest und verbarg mein Gesicht, ich biss mir fest in die Unterlippe, aber jetzt ging das Zittern auch auf meinen Mund über.
    »Papa …« David schob seine Hand unter meine verkrampften Finger und zog.
    »Junge …« Ich keuchte und versuchte, ein Knie auf den Rand zu bekommen, es gelang mir erst nach mehreren Versuchen, wobei ich mir auch noch das Schienbein aufschürfte.
    Endlich stand ich; nicht nur meine Lippen zitterten jetzt, sondern mein ganzer Körper.
    David hielt mich an den Schultern fest und schüttelte mich kurz.
    »Papa. Ist wirklich alles in Ordnung?«
    Ich rang mir ein Lächeln ab, fühlte aber plötzlich Tränen in den Augen; rasch nahm ich das Handtuch und tat, als würde ich mir die Nase putzen.
    »Einfach zu lange im Wasser geblieben.« Ich sah mich um und entdeckte plötzlich den bis dahin unsichtbaren Barkeeper, der drinnen Gläser trocknete.
    »Ich brauche jetzt ein Bier. Du auch?«

5
    Eigentlich wurde mir erst auf der Ausfahrt vom Autobahnring so richtig warm. Es regnete nicht wie sonst immer, wenn wir aus dem Urlaub zurückkamen. Das Taxi stoppte vor einer Ampel und bog dann in den Middenweg ein; das Laub der Bäume und Sträucher war schon von diesem dunkleren, satten Grün, das das Ende des Sommers ankündigt.
    Doch die Wärme kam nicht von außen, sondern von innen, als wäre unterhalb meines Zwerchfells eine Heizung angesprungen, die mir vom Scheitel bis zur Sohle einheizte. Wir fuhren an der Stelle vorbei, wo einmal das Ajax-Stadion gestanden hatte und wo jetzt ein scheußliches neues Wohnviertel gebaut wurde. Die Straßen und Plätze trugen zweifellos lustig gemeinte Namen wie Anfield Road, George Bestweg und Heizelplein. Kurz darauf kamen wir am Heringwagen auf dem Christiaan Huygensplein vorbei, der von den Bewohnern »Albert Heijnplein« genannt wird. Was tat ich normalerweise, wenn ich aus dem Urlaub nach Hause kam? Die Zeitungen der vergangenen zwei Wochen durchblättern? Die Nachrichten auf dem AB abhören? Ich könnte natürlich auch Heringe für uns alle kaufen.
    Irgendwie war ich vollkommen von der Rolle. DieseHeimkehr drängte alle anderen, die vergangenen wie die zukünftigen, in den Hintergrund und beanspruchte unduldsam den ersten Platz für sich.
    »An der nächsten Ampel rechts«, sagte ich zum Taxifahrer. »Und dann die zweite links und gleich wieder rechts.«
    Meine Stimme klang eigentlich ganz natürlich,

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