Odessa Star: Roman (German Edition)
wie vor zwei Wochen, alles war ein wenig grüner geworden, das Gras, wie gesagt, ein wenig höher, und die meisten Blüten hatten ihren Höhepunkt überschritten.
Ich erinnere mich noch genau, dass ich an diesem ersten Nachmittag den Garten nicht betrachtete, als könnte er in absehbarer Zeit mein eigener werden, sondern einfach so, wie man eben auf den Garten einer Nachbarin hinunterschaut.
Anschließend blätterte ich in der Tat die Zeitungen der vergangenen zwei Wochen durch; wir beziehen sowohl die Volkskrant wie Het Parool, letztere hauptsächlich wegen des Amsterdamer Lokalteils.
Nachdem ich die letzte Seite überflogen hatte, hörte ich den AB ab. Wider besseres Wissen hoffte ich auf eine Nachricht von Max, aber er würde sich natürlich hüten, seine Stimme auf unserem AB zu hinterlassen. Doch während ich die Nachrichten, eine läppischer als die andere – eine Freundin von Christine, meine Schwiegereltern, die sich mal wieder in der Woche unserer Rückkehr irrten, mein alter Freund Peter Bruggink, der mir mit umflorter Stimme mitteilte, er müsse »etwas Persönliches« mit mir besprechen … an mir vorbeiziehen ließ, hoffte ich doch weiterhin auf irgendein Zeichen – etwa eine verschlüsselte Nachricht von Richard H.: »Die von Ihnen bestellte Gartenerde kann abgeholt werden« oder »Bitte lassen Sie uns telefonisch wissen, wann wir die Umzugskartons liefern können«, aber nach acht Nachrichten hüllte sich der AB in Schweigen.
Im Kühlschrank standen noch drei Dosen Bier; ich genehmigte mir gleich eine im Stehen. Der Schlüssel der Parterrewohnung hing an seinem Haken.
Mit einem zweiten Bier ging ich ins Wohnzimmer, das direkt über dem von Frau de Bilde lag. Ich kniete mich hin und drückte das Ohr an den Parkettboden, so wie ich das als Junge mit den Eisenbahnschienen gemacht hatte. Erst hörte ich nur mein eigenes Blut rauschen, nach und nach aber kamen unverkennbar Geräusche von unten dazu: etwas kratzte auf Metall, und sofort sah ich den in seinem Käfig herumhüpfenden Wellensittich vor mir. Jetzt hörte ich ein dumpferes Geräusch, wie von sich nähernden Schritten.
»Herr Moorman …?«
Es war das zweite Mal heute, dass Nathalie mich in diesem zaghaften Ton anredete. Sie hatte etwas von einer Krankenschwester, die sich erkundigt, wie es dem Patienten denn heute geht. Ich schaute direkt auf ihre nackten Füße.
Ich richtete mich auf: »Mir ist ein Schräubchen unter das Sofa gerollt«, sagte ich und lachte etwas dämlich. »Ein Schräubchen von meiner Sonnenbrille …«
Nathalies Blick ging von mir zur Bierdose auf dem Boden. Ein feines Lächeln spielte um ihre Lippen; nicht das Lächeln einer Dreizehnjährigen, die sich über die Schrullen ihres zukünftigen Schwiegervaters amüsiert, sondern das Lächeln der Krankenschwester, die längst weiß, dass der Patient das Thermometer an die Birne seiner Bettlampe gehalten hat, um so höheres Fieber zu simulieren.
In der Nacht weckte mich ein Geräusch, das ich nicht recht einordnen konnte; es schien von draußen zu kommen, als würde jemand über einen Flaschenhals blasen, dann wieder ähnelte es dem klagenden Ruf einer Eule. Da ich aber in unserem Viertel noch nie eine Eule gesehen oder gehört hatte, stand ich leise auf, um meine Frau nicht zu wecken, schob den Vorhang etwas zur Seite und spähte nach draußen. Still lag unten der Garten; es war eine mondlose Nacht, nur aus Davids Schlafzimmer fiel ein breiter Lichtschein auf Bäume und Rasen; die digitale Uhr des Fernsehers zeigte drei Uhr neunundvierzig. Was mein Sohn und seine Freundin zu so später Stunde wohl noch anstellten? In dem Moment erklang das Geräusch wieder, lauter und deutlicher, es hielt auch länger an. Es kam nicht aus dem Garten, sondern aus dem Parterre.
Im Dunkeln griff ich nach Hose, T-Shirt und Turnschuhen und schlich mich die Treppe hinunter. In der Küche war das Geräusch noch lauter zu hören; ich erwog kurz, erst auf den Balkon hinauszugehen, nahm dann aber den Schlüssel vom Haken.
Das Herz klopfte mir bis in den Hals, denn inzwischen war mir klar, von wem das Geräusch stammte, ich hörte es ja nicht zum ersten Mal – es war unverkennbar das Jaulen eines Hundes.
Draußen auf der Straße herrschte absolute Stille; trotzdem schaute ich mich noch ein paarmal um, bevor ich den Schlüssel ins Schloss steckte. Bis jetzt war alles, was ich tat, völlig normal und menschlich verständlich. Der Bewohner der oberen Etage hört den Hund der Nachbarin im
Weitere Kostenlose Bücher