Odice
sonstige Nacktheit. Und dann war da noch dieser Mann, der so vom Betrachter weggedreht stand, dass man von ihm nur die schlanke Gestalt und den zum Schlag ausgestreckten Arm sah, der in pludrig weißen Hemdsärmeln steckte. In der Hand hielt er eine lederne Peitsche, die im Schwung begriffen sogleich Rücken oder Gesäß seiner wehrlosen Gespielin treffen würde. Und wenn man genau hinsah, waren da nicht schon Striemen dieser Peitsche auf ihrem makellos weißen Körper zu erkennen?
Die Szene wirkte wie in der Bewegung eingefangen, eher wie ein Filmstill denn eine gestellte Fotografie.
Odice’ Herz schlug bis zum Hals, als sie den Laptop mit einer fahrigen Handbewegung zuklappte.
Doch die Bilder hatten sich in ihre Netzhaut eingebrannt und begleiteten sie noch den ganzen Tag. Alle vier Aufnahmen waren im artifiziellen Schwarz-Weiß gehalten gewesen und ihre sterile Hochglanzoptik hatte an die Arbeit eines Helmut Newton erinnert; allerdings waren sie um einiges expliziter gewesen. Sie waren allesamt frauenverachtend und gewaltverherrlichend und dabei auf eine verstörend irritierende Art hochästhetisch. Odice musste sich eingestehen, wie sehr sie diese Aufnahmen fasziniert und erregt hatten.
Als sie an diesem Abend in ihrem Bett lag, wollten ihr die Bilder noch immer nicht aus dem Kopf gehen. Sie versuchte zu analysieren, was an diesen Fotografien sie nicht loslassen wollte. War es der schlichte voyeuristische Reiz des heimlichen Tabubruchs, der sprichwörtliche Blick durchs Schlüsselloch, der einem Einblicke in eine Welt erlaubte, zu der man eigentlich keinen Zutritt hatte? Die Attraktion des Skandalons, die Anziehungskraft des Verbotenen? Jedenfalls war es nicht die sündige Verdorbenheit dieser Bilder, die sie anzog, ebenso wenig wie die schaulustige Sensationsgier, Menschen leiden zu sehen. Vielleicht war sogar genau das der springende Punkt: die Protagonistinnen dieser Fotografien schienen nicht zu leiden. Sie empfanden Lust bei dem, was mit ihnen geschah. Sie waren keine bemitleidenswerten Opfer männlicher Gewalt, sondern Handelnde in einem erotischen Spiel. Außerdem war keines der Bilder offen pornographisch gewesen, egal wie erotisch aufgeladen und hochgradig sexualisiert die Fotografien auch waren. Allesamt zeigten sie schöne Menschen in geschmackvollem Ambiente, bis zur Unkenntlichkeit ästhetisiert und abstrahiert, jenseits jedes Schmuddelsex-Klischees. Da war kein Penis, kein Schamhaar, kein weibliches Genital in diesen Aufnahmen zu erahnen. Vielleicht waren es gerade dieser Respekt des Fotografen für sein Sujet und sein Vertrauen in die Imaginationskraft des Betrachters, die Odice so sehr ansprachen.
In dieser Nacht träumte sie davon, wie sie nackt hingestreckt, voller Wollust und ohne jede Scham auf einem riesigen Flokati lag, über ihr zwei ebenso verführerische wie attraktive Fremde mit verschwommenen Gesichtszügen. Beide Männer trugen edle Anzüge und beäugten amüsiert die willige Nackte, die sich zu ihren Füßen rekelte. Als sich endlich einer von ihnen zu ihr herabbeugte und mit einem unergründlichen Lächeln eine Hand zwischen ihre Beine schob, blickte Odice in ein Paar eisblaue Augen.
Am nächsten Samstag war ihre Neugier so sehr gewachsen, dass Odice zum Telefonhörer griff und Pascal kurz und knapp informierte, dass sie ihn doch zu dem Treffen begleiten werde – allerdings aus reiner Neugier und vollkommen unverbindlich.
Eric de Lautréamont betrat die Weinbar nahe der Pariser Oper mit knapp zehnminütiger Verspätung. Er war in der Tat eine besondere Erscheinung und Odice wusste sofort instinktiv, dass er es sein musste, noch ehe Pascal sie miteinander bekannt machte. Er trug einen schwarzen Cashmere-Mantel und hatte einen teuren Seidenschal im berühmten Versace-Dekor um den Hals geschlungen. Er war nicht allzu groß, aber von schlanker Gestalt und ihn umgaben eine weltmännische Aura und eine elegante Sicherheit im Auftreten, die ihr umgehend imponierte. Er hatte sein volles, dunkles Haar zurückgekämmt, obwohl ihm eine widerspenstige Strähne auf attraktive Weise in die hohe Stirn fiel, die von einigen Denkerfalten geziert wurde. Seine Augen waren groß und dunkel, sein schlankes Gesicht markant und scharf geschnitten, seine etwas zu groß geratene Nase durchaus apart und seine Lippen sinnlich geschwungen, obwohl ein harter Zug um seine Mundwinkel spielte.
So oder so ähnlich stellte sich Odice einen Mafiapaten vor und als er ihr auf formvollendete Weise die Hand
Weitere Kostenlose Bücher