Odins Insel
etwas findet, ein Buch, ein Dokument oder eine Zeichnung, das die Existenz unserer kleinen Insel bestätigt!«
Sigbrit Hollands Wangen röteten sich, und sie befreite ihren Arm etwas zu schroff aus dem Griff des Fischers. Sie stand auf und ging zum Steven des grün-orangenen Fischerboots. Einen Moment betrachtete sie die schwankenden dunkelgrünen Wellen, dann sah sie zu den Klippen hinüber, die die Mündung des Fjords bewachten, und wurde an die Klippen erinnert, die die Insel umgaben.
»Eine Insel ist eine Insel, bis sie nicht länger eine Insel ist. Wenn Könige… schweigen die Untertanen still« , murmelte sie
und blickte mit zusammengekniffenen Augen in die tief stehende Abendsonne. Sie wandte sich an Brynhild Sigurdskaer. »Wie hängen diese beiden Sprüche mit den anderen beiden zusammen? Erwähne die Insel und die Hölle bricht los und Nähere dich der Insel und… ?«
»Das wissen wir noch nicht«, antwortete die durchsichtige Frau und öffnete wieder das Buch.
Bereits am nächsten Morgen lief das grün-orangene Fischerboot in den Hafen von Kristiansfjord ein. Brynhild Sigurdskaer und Odin blieben an Bord, während Sigbrit Holland und der Fischer Ambrosius in die Stadt gingen. Zuerst wollten sie Asta Adelstensfostres Adresse ausfindig machen, dann Asta Adelstensfostre selbst.
Asta Adelstensfostre wohnte in einem weiß gekalkten Haus am Rand von Kristiansfjord. Sie war eine Frau mittleren Alters von etwas schwerer Statur und einem traurigen Lächeln, das davon zeugte, dass ihr Tragödien, über die man nicht lachen konnte, vertraut waren. Asta Adelstensfostre hatte fünf Kinder und einen verstorbenen Ehemann, und sie zeigte ihren unerwarteten Gästen stolz Bilder von allen.
»Kapitän Hans Adelstensfostre.« Sie wiederholte langsam den Namen. »Ich bin nicht ganz sicher. Sehen Sie, mein Mann hieß Adelstensfostre…« Sie klang entschuldigend. »Es ist schon möglich. Es ist sogar sehr wahrscheinlich, da es nicht viele Adelstensfostres in diesem Land gibt. Aber ich weiß es nicht, ich weiß es wirklich nicht.« Sie wrang verlegen die Hände und glättete dann eine unsichtbare Falte in ihrem geblümten Kleid. »Sehen Sie, mein Mann hat nichts von seinen Eltern geerbt. Sie waren arm … ja, das ist eine lange Geschichte. Doch langer Rede kurzer Sinn, ich habe nichts.« Sie machte eine entschuldigende Handbewegung.
»Das macht nichts. Es ist sehr freundlich von Ihnen, dass Sie bereit waren, mit uns zu reden«, sagte der Fischer und legte der Frau eine Hand auf die Schulter.
Vom Garten her drang Kindergeschrei, und Asta Adelstensfostre entschuldigte sich und ging hinaus, um zu sehen, was los war. Als sie zurückkam, war sie etwas gefasster.
»Es gab einmal einen Bruder.« Ihre Stimme klang träumerisch, und die Spuren eines romantischen Lächelns breiteten sich auf ihrem Gesicht aus und ließen sie einen Augenblick wie ein junges Mädchen erscheinen. »Harald.«
Der Fischer Ambrosius blinzelte Sigbrit Holland zu, er wollte die Geschichte von der Frau selbst hören, ohne erkennen zu geben, was sie bereits wussten.
»Den Bruder meines Mannes, Harald Adelstensfostre, ein Zwillingsbruder. Er ist zur See gefahren.« Plötzlich sah Asta Adelstensfostre traurig aus. »Ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist. Wir haben nie wieder von ihm gehört.« Asta Adelstensfostre stand auf und ging nervös im Wohnzimmer auf und ab, während sie die Hände wrang. »Er ist bestimmt tot.« Ihre Augen wurden blank. »Vielleicht lebt er auch noch. Das weiß niemand, jedenfalls ich nicht.« Eine einzelne Träne lief ihre Wange hinunter, und sie trocknete sie verlegen mit der Schürze. »Das Leben verläuft nie so, wie man es gerne hätte«, sagte sie schnell und wandte ihren Gästen den Rücken zu.
Sigbrit Holland hustete.
»Wir haben schon viel zu viel von Ihrer Zeit in Anspruch genommen«, sagte sie. »Es war freundlich von Ihnen, mit uns zu reden.«
Die Frau wandte ihnen wieder das Gesicht zu und lächelte nervös.
»Nur noch eine Frage…«, Sigbrit Holland zögerte. »Sie wissen nicht vielleicht, ob die Eltern Oluf irgendwelche alten Papiere und Bücher hinterlassen haben?«
»Nein.« Asta Adelstensfostre schüttelte den Kopf. »Es war nicht … Harald hat doch alles bekommen. Das ist schwer zu erklären. « Asta Adelstensfostre glättete wieder eine unsichtbare Falte in ihrem Kleid. »Es gab viele Gründe… ja… jedenfalls war es nicht viel, die Hütte und vielleicht ein paar andere Dinge. Und Oluf kam
Weitere Kostenlose Bücher