Odins Insel
Smedieby weiß alles, was es über Pferde zu wissen gibt«, warf Odin ein. »Aber ich wünsche mir wahrlich, dass dieser Veterinär bald mit den Vorschriften und mit Herrn Bramsentorpfs Formalitäten fertig wird.«
Der Fischer Ambrosius nickte, sagte aber nichts.
»Wenn sich die Lösung im Erstgenannten verbirgt und das Erstgenannte sich im Letztgenannten verbirgt, muss die Lösung etwas damit zu tun haben, wie man sich der Insel nähert.« Sigbrit Holland trommelte mit den Fingern gegen den Fensterrahmen.
Der Fischer brummte etwas Unverständliches und begann seine Pfeife zu reinigen.
»Es reicht nicht, die Einfahrtroute zu kennen«, fuhr Sigbrit Holland fort. »Du hast die ganze Zeit Recht gehabt, irgendetwas Merkwürdiges geht dort vor.« Sie zögerte einen Augenblick. »Egal wie wir es anfangen, wir müssen herausfinden, was sie zu König Enevolds IV. Zeit gewusst haben.«
Harald Adelstensfostre sah auf, und zum ersten Mal seit ihrer Abreise von der Insel Grinde öffnete er den Mund, um zu sprechen.
»Die Bücher«, sagte er rau und zeigte auf die primitive Holzkiste, die er am selben Morgen an Bord geschleppt hatte.
»20. Dez. 1618 verstarb der emsig und verdienstliche Matros Jens Koefod, der langezeit siech war gewesen.«
Wort für Wort schrieb Sigbrit Holland den Text, den Harald Adelstensfostre langsam im Tagebuch des Kapitäns entzifferte, in ihrer leserlichen Handschrift nieder. »Ein Sarch wart für ihn gezimmert.« Der Eremit schloss das Buch; es war spät.
Sigbrit Holland legte den Kugelschreiber weg und lehnte den
Kopf gegen die kühle Wand des Steuerhauses. Ihre Hand tat weh, und all ihre Glieder waren müde und schwer. Sie schluckte den Speichel hinunter, der in ihrem Hals zu einem Klumpen zu werden drohte.
Der Fischer Ambrosius war damit beschäftigt, die Rikke-Marie südwärts zu steuern, aber sie schafften nicht die gleichen Tagesetappen wie auf ihrem Weg nach Norden. Der Wind blies kräftiger, die Wellen waren höher und die Tage kürzer. Sie waren seit neun Tagen unterwegs und hatten sich durch das erste Tagebuch und einen Teil des zweiten gearbeitet, ohne etwas anderes als Notizen zu Wind und Wetter, zu den Preisen von Mehl, Salz, Fleisch und Holz und anderen Waren gefunden zu haben. Am nächsten Tag würden sie Kristiansfjord erreichen, Harald Adelstensfostre würde von Bord gehen und sie mit dem Rest des zweiten Tagebuchs, den drei Frachtbüchern und nicht viel Hoffnung zurücklassen.
Sigbrit Holland rieb ihr Handgelenk.
»Kommen Sie, machen wir noch ein paar Seiten, bevor wir für heute aufhören«, sagte sie mutlos.
»Strandwärts lagen grosse Haufen von Steinen, aus Kampfe und Natura, grosse und minder grosse …« Der Eremit schwieg und zog das Buch näher zur Lampe hin. Ein seltenes Lächeln zog einen seiner Mundwinkel nach oben. »Der Krieg währet lange. Ein König und noch ein anderer können unmöglich zu der Insel südwärts von Urö segeln.« Er hustete. »Die Insel südwärts von Urö ist Nichts. Ich habe zu viel Wissens. Wann Könige einen Brief unterzeichnen mit ihrem Namen, so müssen die Untertanen schweigen. Wenn doch nur der König nicht eine Frau aus dem Volke lieben täte …«
»Da ist es!«, rief Sigbrit Holland.
»Dann hatte Brynhild Sigurdskaer Recht. Es gab offenbar eine Absprache zwischen König Enevold IV. und König Hermod Skjalm.« Der Fischer Ambrosius grinste. »Aber was hat das mit König Enevolds IV. Gefühlen für Drude Estrid zu tun?«
Sigbrit Holland schüttelte den Kopf.
»Das weiß ich nicht«, sagte sie verwundert. »Lesen wir weiter, vielleicht sind wir dann schlauer.«
Aber das waren sie nicht. Tatsächlich fanden sie überhaupt nicht mehr viel, denn schon nach drei weiteren Seiten stand nichts mehr in dem Buch.
Als Sigbrit Holland und der Fischer Ambrosius später am Abend in der Koje des Fischers lagen, fragte sie ihn, ob er glaubte, dass sie jemals die Lösung finden würden.
»Das müssen wir«, antwortete der Fischer leise.
»Aber wenn wir es nicht tun?«
»Wenn wir es nicht tun«, flüsterte der Fischer, »müssen wir uns ewig fragen, ob wir die Lösung wirklich finden wollten.«
Sigbrit Holland biss sich auf die Unterlippe und nickte. Einen Augenblick herrschte Stille, dann richtete sie sich auf den Ellenbogen auf und fragte:
»Was ist mit Odins Veterinär?«
Der Fischer schüttelte den Kopf.
»Erledigen wir eins nach dem anderen, holde Frau«, sagte er leise.
Am folgenden Nachmittag, kurz bevor es zu
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