Odins Insel
Bramsentorpfs Formalitäten erledigt sind, sodass die Luftverbindung eingerichtet werden kann?«
»Wir befürchten, dass Herr Bramsentorpf in diesen Tagen nicht viel für die Luftverbindung tun kann«, sagte der Fischer Ambrosius. »Nein, dort, wo Herr Bramsentorpf sich im Augenblick aufhält, ist es wohl ziemlich kalt.«
»Wer von warmen Winden getragen wird, kommt weiter als der, der von kalten getragen wird«, bemerkte Odin leise und drehte sich ruhig den Bart um die Finger, während er sich schüttelte bei der Erinnerung an seine Wanderung über das Meer zum Kontinent in einem fürchterlichen Schneesturm vor nun bald sehr langer Zeit.
Eine halbe Stunde später stand Sigbrit Holland in der Zentralbibliothek von Fredenshvile und lieh alles aus, was sie über Ballonfahrt hatten. Es dürfte am besten sein, nichts mitzunehmen, von dem sie nicht mit Sicherheit wussten, dass es das ohnehin auf der Insel in der gleichen Form gab. Deshalb konnten sie weder Helium noch andere Gase benutzen, sondern mussten sich mit einem Warmluftballon behelfen.
»Aber wir können die Luft nicht mit einem der modernen Propan- oder Butanbrenner erwärmen«, sagte der Fischer Ambrosius und kratzte sich hinter dem Ohr. Der Stahlgehalt der Flaschen würde die Brenner wahrscheinlich zu Bomben umfunktionieren, sobald der Ballon in das Magnetfeld der Insel geriet.
»Vielleicht können wir den Ballon mit warmer Luft füllen,
während er sich noch an Bord der Rikke-Marie befindet, und das muss dann reichen«, schlug Sigbrit Holland vor. »So wie sie es bei den ersten Ballonflügen gemacht haben.« Sie sah in das offene Buch, das vor ihr auf dem Tisch lag, und blätterte einige Seiten zurück. »Hört zu: Luft dehnt sich bei Wärme aus, wodurch sich die spezifische Schwerkraft reduziert und die warme Luft von kälteren Luftschichten nach oben getragen wird« , las sie. »Der erste Warmluftballon, der von den Brüdern Montgolfier 1783 erbaut wurde, war 17,4 Meter hoch und hatte 12,5 Meter Durchmesser und ein Volumen von 1000 m 3 . Der Ballon trug einen Korb mit drei Passagieren – einem Schaf, einem Hahn und einer Ente – in eine Höhe von ungefähr 500 Metern und flog vier Kilometer, bis er acht Minuten später wieder landete.« Sigbrit Holland sah auf. »Viel mehr braucht ihr wohl nicht?«
»Nein«, sagte der Fischer und klopfte auf seine Pfeife. »Wir sind nur ein bisschen schwerer als Schafe und Hühner und Enten, und ein bisschen mehr Zeit, wenn wir erst da oben sind, wäre auch nicht schlecht.«
»Schon der nächste Warmluftballon führte einen menschlichen Passagier mit … «, las Sigbrit Holland weiter, aber sie wurde von dem Eremiten unterbrochen.
»Das kann man alles berechnen«, sagte er kurz und nahm Block und Bleistift aus dem Regal.
Die Klippen waren hoch und um auf der sicheren Seite zu sein, mussten sie besser noch etwas Zeit zugeben. Der Abstand von den äußersten Klippen, bei denen die Rikke-Marie hatte aufgeben müssen, bis zu der Insel betrug ein paar hundert Meter, und dazu mussten noch einmal sieben- bis achthundert Meter gerechnet werden, wenn sie sicher sein sollten, die Mitte der Insel zu erreichen. Der Wind war die unbekannte Größe in der Rechnung: Stimmten Windrichtung und -stärke, brauchten sie nicht mehr als zehn bis fünfzehn Minuten von dem Augenblick an, in dem die Vertäuung durchschnitten wurde, bis zur Landung des Ballons auf der Insel. Wenn nicht, war ungewiss, wie lange es dauern würde.
»Ohne Kraft kommt man nirgendwohin«, bemerkte Odin und zog an seinem Bart. »Mit zu viel Kraft schießt man überall vorbei.«
»Genau«, sagte Sigbrit Holland. »Auch wenn ihr euch gern noch etwas zusätzlichen Spielraum sichern wollt, dürft ihr nicht zu viel überschüssige Luft haben, wenn ihr nicht auf der anderen Seite der Klippen ankommen wollt.«
Der Fischer Ambrosius nickte.
»Worauf es ankommt, ist, das Ding zu steuern«, sagte er. »Irgendwie werden wir es dann schon herunterbringen.«
An der Tür der Schiffshalle ertönte das abgesprochene Klopfsignal, und der Fischer Ambrosius stand auf und kam kurz darauf mit dem Fremdling zurück. Der eingefallene alte Mann ging in seine Ecke und setzte sich, ohne jemanden zu grüßen.
Sigbrit Holland sah bewusst weg.
»Wie wollt ihr ihn steuern?«, fragte sie.
»Außer dem Wind gibt es in der Luft keine Ruder.« Der Fischer Ambrosius stand auf und ging im Steuerhaus hin und her. Er kaute nachdenklich auf dem Mundstück seiner Pfeife.
»Was ist, wenn
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