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Odins Insel

Odins Insel

Titel: Odins Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janne Teller
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Fingern auf die Tischkante.
    »Wenn dir deine Biologie gegeben ist, deine Umwelt dir gegeben ist, die Umstände deiner Geburt und deines Daseins dir gegeben sind, sind dir auch deine Anlagen und Möglichkeiten gegeben, ist dir damit dein Schicksal gegeben.« Der Fischer kaute auf seiner Pfeife. »Wenn du dich im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten bis zum Äußersten streckst, sind dir deine Lebensspur und deine Schicksalsspur gegeben. Holde Frau, das Schicksal ist nicht etwas, dass einem zustößt, das Schicksal ist das, was du tust, die Summe deines Willens und deiner Handlungskraft, um deine Möglichkeiten zu erschöpfen.«
    Sie saßen eine Weile schweigend da. Dann sagte Sigbrit Holland leise: »Wenn das, was Sie sagen, stimmt, ist nicht die Insel Ihr Schicksal, sondern die Klippen.«
    Bevor der Fischer antworten konnte, sprang Odin auf. Nicht weit entfernt ertönte ein leichtes Brummen wie von einem starken Motor.
    Auf der Brücke der königlichen Yacht ließ die Königin das Fernglas sinken und zeigte auf etwas Grün-Orangenes zwischen den Klippen.
    »Sie sind aufgelaufen«, sagte sie. »Wir müssen helfen…«
     
    Am späten Nachmittag, nachdem es dem Fischer Ambrosius und dem Kapitän der königlichen Yacht gelungen war, die Rikke-Marie wieder flottzumachen, nachdem am Firökanal das merkwürdige Bild zu sehen gewesen war, wie die grandiose weiß-goldene Yacht ein altes übel zugerichtetes grün-orangenes Fischerboot
im strömenden Regen durch den Kanal zog und nachdem der Fischer Ambrosius und Sigbrit Holland der Königin ihre Geschichte erzählt hatten, ließ die Königin den Tee ausfallen und begab sich direkt in ihre private Bibliothek.
    Sie brauchte drei Tage, dann fand sie, was sie suchte. Sigbrit Hollands und ihre eigenen Entdeckungen zusammengenommen, konnte kein Zweifel daran bestehen, dass jemand mit Bedacht alle Beweise für die Existenz der Insel vernichtet hatte. Vielleicht hatte es König Enevold IV. selbst getan, um die Demütigung zu vertuschen, die Unfähigkeit eines Königs, das Versprechen einzulösen, das er seiner Geliebten gegeben hatte. Die Insel musste von einem Paradies zu einer Hölle geworden sein, zu einem Symbol seiner misslungenen Ehe. Und jetzt wusste sie auch, auf welche Weise die Insel und der um sie geführte Krieg ein so gut bewahrtes Geheimnis geblieben waren. Die Königin las noch einmal das vergilbte Dokument, das sie in der Hand hielt – ein Dokument, das das Schicksal der Insel besiegelte, eine Absprache zwischen zwei Königen. Sie hatte es unter einem zusätzlichen Boden in der untersten Schublade eines alten soliden Schrankes zusammen mit zwei identischen Karten gefunden, auf denen die Insel mitten zwischen den Klippen in schönen vergoldeten Buchstaben eingezeichnet war: Drude-Estrid-Insel . Somit war nichts aus dem grandiosen Hochzeitsgeschenk des südnordischen Königs geworden, und der König hatte seine Ehre nie wieder zurückgewonnen. Fast fühlte die Königin die Demütigung, als wäre es ihre eigene. Und plötzlich wusste sie, was sie zu tun hatte.
    Als Erstes legte die Königin die vergilbte Absprache unter den falschen Boden der Schublade zurück, unter dem sie sie gefunden hatte. Lass vierhundert Jahre vergehen, bis jemand sie wieder findet, murmelte sie vor sich hin und verschloss das Versteck, so gut sie konnte. Dann bat die Königin den Hofmarschall ihres Vertrauens, von Egernret, eine der beiden Karten König Enevolds IV. in die Spezialarchive des Land- und Katasteramtes zu bringen und sie diskret zurück zugeben. Schließlich lud die Königin den Staatsminister zum Tee ein.

     
    Obwohl es mitten im Frühjahr war, war es kalt, und im Kamin neben der dunkelgrünen Sofagruppe brannte ein lebhaftes Feuer. Die Königin wartete, bis der Tee serviert worden war und die Tür sich hinter dem Mädchen geschlossen hatte.
    »Herr Staatsminister, ich habe Sie heute zum Tee gebeten, weil ich gerne die Sache Odin Odin mit Ihnen diskutieren möchte«, sagte die Königin freundlich.
    »Ja, das ist eine sehr unglückliche Geschichte, Ihre Majestät.« Der Staatsminister schielte zu seiner Armbanduhr. Er hatte es sehr eilig und überhaupt keine Zeit für einen Höflichkeitsbesuch bei der Königin. »Ich kann Ihrer Majestät versichern, dass die Regierung bereits alle notwendigen Schritte unternommen hat, um die Unruhen einzudämmen. Im Laufe von nur wenigen Tagen werden die Demonstrationen nur noch eine Legende sein.« Der Staatsminister stellte seine Tasse ab. »Und

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