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Odins Insel

Odins Insel

Titel: Odins Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janne Teller
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er sich verbrannt – hoffentlich hatte ihn niemand gesehen! Mit klopfendem Herzen lehnte er sich gegen die Wand. Da jedoch nichts passierte, schlich er sich bald wieder zum Fenster und spähte hinter der Gardine hervor. Sie war noch immer da, die Menschenmenge auf dem Kai, aber der Lärm hatte sich auf einzelne Stimmen reduziert, von denen eine einem bebrillten Mann gehörte, der auf einem leeren Bierkasten stand. Wie hatten sie ihn nur gefunden? Odin war sicher, dass weder Gunnar der Kopf noch der Fischer Ambrosius noch Sigbrit Holland jemandem erzählt hatten, wo er sich versteckte. War es möglich…? Ja, natürlich. Plötzlich schämte sich Odin. Dieser Herr Bramsentorpf hatte wahrlich nicht lange gebraucht, um sein Versprechen wahr zu machen.
    Odin öffnete die Tür und trat aufs Deck. Wieder war Tumult unter den Frommen ausgebrochen, sodass es eine Weile dauerte, bis jemand seine Anwesenheit bemerkte. Erst als Odin oben auf dem Kai stand, entdeckte ihn einer der Moslemischen Modernisten.
    »Der Große Mann ist hier! Er ist hier!«, rief er und fiel vor Odin auf die Knie.
    »Der Große Mann ist hier!«, hallte es von überallher wider, und wie auf ein Zeichen fiel die ganze Versammlung der Moslemischen Modernisten, der Wiederauferstandenen Christen, der Wiedergeborenen Juden, der Lämmer des Herrn und der Jungfrauen Marias auf die Knie und verneigte sich im Staub. Odin sah verwundert auf die gebeugten Rücken. Er zog an seinem Bart; sie hatten wirklich merkwürdige Sitten auf dem Kontinent. Aber er wollte so höflich wie möglich sein und diesen Beamten seinen Respekt erweisen, die Herr Bramsentorpf und die südnordische Regierung geschickt hatten, um bei der Erfüllung der Regeln und Formalitäten behilflich zu sein. Also kniete auch Odin nieder und verbeugte sich, bis seine Stirn den kalten Asphalt zwischen seinen Händen berührte. Eine heilige Brise schien durch den moslemischen Teil der Menge zu wehen, und Odin hob den Kopf, um zu sehen, ob die Leute sich erhoben hatten. Doch sobald die Frommen sahen, dass der Große Mann den Kopf hob, begruben sie wieder die Nasen in der Erde, und Odin
tat es ihnen gleich. Viermal sah Odin auf, und viermal beugte er wieder den Kopf. Doch da die Beamten vor ihm weiterhin den Kopf hoben und senkten und Odin nicht den ganzen Tag auf den Knien liegen konnte, erhob er sich schließlich.
    »Es wärmt mir wahrlich das Herz, dass ihr gekommen seid, um mir zu helfen«, sagte er. »Die unglückselige Rigmarole hat mich hierher geführt. Aber es gibt kein Unglück, dem ein wenig Glück nicht abhelfen kann. Und in unglückseligen Zeiten müssen Leute guten Glaubens einander finden. Mit eurer Hilfe werden die Regeln und Formalitäten bald erfüllt sein, und an dem Tag, an dem…« Odin wurde von dem begeisterten Gebrüll der Menge unterbrochen, die sich jetzt erhoben hatte und Blumen und Fahnen in die Luft warf. Der Lärm war ohrenbetäubend, und Odin bekam wieder Angst. Schnell kletterte er zurück an Bord des grün-orangenen Fischerbootes und verschloss die Tür zum Steuerhaus hinter sich.
    Der Große Mann hatte gesprochen. Hasan Al-Basri dankte Allah und seinem tüchtigen Gehirn. Er hatte das Richtige getan; Odin gehörte ihnen! Der Große Mann war nicht nur dunkelhäutig und in ein langes shalwar-kamiz-ähnliches Gewand gehüllt, und der Große Mann hatte sich nicht nur viermal direkt vor dem Mittagsgebet auf den Boden geworfen, er hatte auch gelobt, ihnen Glück zu bringen – eine sichere Antwort Allahs auf ihre Gebete, den Boten zu senden, um die Welt von dem Kreuz zu reinigen und den Dajjal zu töten. Der Jüngste Tag war nahe! Im moslemischen Viertel herrschte große Freude.
    »Ich, Simon Peter II., ein armer Fischer an Körper und Geist, habe viele Jahre auf Jesu Christi Wiederkunft gewartet, und jetzt versichere ich euch: Er ist gekommen!« Simon Peter II. hatte sich von der unmittelbaren Niederlage erholt, und mit einem trotzigen Ausdruck und leuchtenden Augen kletterte er nun wieder auf den leeren Bierkasten.
    »Unser Erlöser ist gekommen!«, riefen die Wiederauferstandenen Christen.
    »Ihr habt den Großen Mann mit eigenen Augen gesehen. Ihr habt gesehen, wie er mich angesehen hat, seinen auserwählten Jünger, und wie er genickt hat, bevor er von dem guten Glauben
gesprochen hat, dem guten und wahren Glauben, der der Glaube der Wiederauferstandenen Christen ist.«
    In diesem Augenblick sah der Fischer Ambrosius, der mit zwei Brettern und einer Einkaufstasche unter dem

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