Odins Insel
schwarzen Augenbrauen – einstmals ein südeuropäischer Straßenjunge, jetzt ein südnordischer Priester und Bischofs Bentsens bevorzugter Helfer. Er ging mit schnellen festen Schritten den Kai hinunter, hob seine gut gebügelte Hose an und kletterte, ohne zu zögern, an Bord der Rikke-Marie.
Eine Stunde später verließ Viktor Valentino das grün-orangene Fischerboot, nachdem er Signor Odin in unzweideutigen Wendungen nahe gelegt hatte, baldmöglichst lange und schöne Ferien zu machen, in welchem Fall Bischof Bentsen – ein überaus heiliger und überaus bedeutungsvoller Mann – Signor Odin einen Dienst schulden würde, der, wie Signor Odin den Wunsch geäußert zu haben schien, durchaus darin bestehen könnte, bei der Einrichtung der fehlenden Luftbrücke behilflich zu sein.
»Gesegnet sind die, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott sehen«, sagte Viktor Valentino feierlich und gab Odin zum Abschied die Hand.
In der Zwischenzeit war Sigbrit Holland zwar nicht ganz bis zu der Königin gelangt, aber doch so weit, wie sie kommen konnte: bis zu Hofmarschall von Egernret. Indem sie vorgab, aus dem Justizministerium anzurufen, um um weitere Informationen zur Stärkung der Verhandlungsposition des Königinnentums in dem Disput um die Drude-Estrid-Insel zu bitten, fragte sie nach dem Namen des Kapitäns, der 1614 oder 1615 den Kartografen Thorvald Henrik Innocente Thorvaldesen zu der Insel gesegelt hatte. Und sie hatte Glück. Hofmarschall von Egernret war ein etwas eingebildeter und eitler Herr, der nie müde wurde, seinen hohen Status und seinen priviligierten Zugang zu vertraulichen Informationen von großer Wichtigkeit zu demonstrieren, der nur den besonders Auserwählten um die Königin zuteil wurde.
Es war nicht einmal eine Stunde vergangen, als der Hofmarschall zurückrief – zu Sigbrit Hollands Erleichterung, ohne die Nummer kontrolliert zu haben.
»Bei dem Schiff handelt es sich um eine Yacht mit Namen Freia II«, sagte Hofmarschall von Egernret geschwollen. »Aber aus Gründen, die vollständig außerhalb der Kontrolle des Hofes liegen, ist der Name des Kapitäns nicht länger in den Registern zu finden.«
»Nein?« Sigbrit Holland versuchte verblüfft zu klingen, und der Hofmarschall vergaß sofort seine Überlegenheit.
»Ja, das ist äußerst bedauerlich«, sagte er fast entschuldigend. »Aber ich kann Ihnen versichern, dass so etwas bei Hof nur äußerst selten vorkommt, und ich persönlich habe so etwas noch nie erlebt. Wenn ich das erwähnen darf, so stehe ich dafür ein, dass die Namen aller anderen Kapitäne, die für den König gefahren sind, deutlich neben ihren Schiffen stehen. Nur dieser eine, der Name des Kapitäns der Freia II, fehlt.« Der Hofmarschall hustete nervös. »Aber ich kann Ihnen versichern, dass ich selbstverständlich persönlich dafür Sorge tragen werde, die fraglichen Information auf anderem Wege zu beschaffen, und das so schnell
wie möglich. Es ist nur so, dass ich heute äußerst viel zu tun habe und deshalb gezwungen bin zu fragen, ob es bis morgen Vormittag Zeit hat…?«
»Ja…« Sigbrit Holland klang ungeduldig, fuhr dann jedoch in nachsichtigerem Ton fort. »Der Justizminister möchte natürlich nicht die Arbeit des Hofes stören, deshalb wäre schon bis morgen Zeit, wenn es sich denn gar nicht anders machen lässt.«
Und am nächsten Vormittag bekam sie die Information: Kapitän Hans Adelstensfostre.
Hofmarschall von Egernret hatte Kontakt zum Hof der Flachen Länder aufnehmen müssen, um den Namen herauszubekommen.
»Anscheinend hat Kapitän Adelstensfostre mit der Freia II viel für die Flachen Länder gearbeitet. In aller Vertraulichkeit, Fräulein«, Hofmarschall von Egernret war jetzt anbiedernd, »dem Ganzen haftet etwas sehr Merkwürdiges an. Ich meine nicht im Hinblick auf die Flachen Länder, nein, in keinster Weise, sondern in Hinblick auf Kapitän Hans Adelstenfostre selbst.« Der Hofmarschall senkte die Stimme. »Der Name des Kapitäns scheint nur einige Jahre nach der Fahrt zur Drude-Estrid-Insel aus allen Aufzeichnungen verschwunden zu sein, nicht nur aus den südnordischen. Er muss abgehauen sein. Möglicherweise hat es einen Skandal gegeben. Möglicherweise irgendetwas mit einer Dame.«
Hofmarschall von Egernret klang fast beschwingt bei dem Gedanken.
Sigbrit Holland lächelte vor sich hin, aber laut sagte sie, dass es sich sehr gut so verhalten könnte. Dann dankte sie dem Hofmarschall für die Informationen und legte
Weitere Kostenlose Bücher