Odo und Lupus 03 - Pater Diabolus
zubewegte und eintrat. Vorn ging ein Winzling, nicht gerade ein Zwerg, aber auch nicht viel mehr, mit einer Kutte bekleidet, deren unterer Teil wie eine Schleppe den Fußboden fegte. Seine Äuglein huschten flink hin und her, aus seinem Mund quollen unentwegt quäkende Laute. Er trat gleich auf Odo zu und schnarrte mit einem fremden Akzent:
„Sieh da! Schon wieder ein Kerl, der hilft dem Herrn Jesus Christus zu tragen sein Kreuz nach Golgatha! Hast schlimme Füße? Ach, wie schrecklich! Wie heißt du? Simon von Kyrene {24} ?“
Die Brüder hinter ihm lachten. Ich zitterte einen Augenblick, als ich bemerkte, wie sich Odos Nase kräuselte. Das war gewöhnlich das Vorzeichen eines Zornesausbruchs. Doch obwohl er den dreisten Wicht am liebsten zwischen seinen Fäusten zermalmt hätte, beherrschte er sich mit letzter Selbstüberwindung und sagte:
„Faramod, Edler aus Rouen!“
„Ein Edler? Chaire! Ich biete Heilgruß, Herr Faramod!“ quarrte der Bruder Theophan, indem er sich mehrmals ruckend verneigte. „Ihr müßt großer Sünder sein vor Gott, weil Ihr so furchtbar müßt büßen. Was habt Ihr gemacht für Scheußlichkeit? Hals abgeschnitten? Haus angezündet? Edle Frau vergewaltigt? Oder vielleicht edlen Herrn?“
Die Brüder bogen sich vor Heiterkeit.
„Foi, foi! Wie schade!“ fuhr Theophan fort. „Er will uns nicht beichten. Aber vielleicht will er beichten ehrwürdigem Vater? Wir müssen Herrn Agilhelmus heute noch melden, Brüder, daß schöner Edelmann, großer Sünder ist hier!“
Der Kranke, der zwischen Odo und mir lag, zuckte mehrmals unter der Decke. Theophan sah es, streckte den kurzen Arm nach ihm aus und ließ ein meckerndes Lachen hören. Dann wandte er sich an den Subulcus, der mit einem Handtuch über dem Arm und einer Schüssel mit Instrumenten hinter ihm stand.
„Du kümmerst dich um edlen Herrn Faramod. Wunden waschen und schwarze Salbe. Aber erst nehmen wir uns den Ceslin vor. Ceslin!“ sagte er zu dem Verletzten. „Wir müssen ein bißchen schaben, wie großer Hippokrates vorschreibt, und dann bohren wir auch noch ein bißchen. Du wirst es mit Gottes Hilfe ertragen.“ Der Ärmste begann, lauthals zu jammern und um sich zu schlagen, und Theophan schrie: „Wo ist Zacharias? Er soll kommen, ihn festhalten!“
Zacharias wurde mehrmals gerufen, und schließlich wälzte er sich herein und preßte den Ceslin in seine bärenstarken Arme. Die Begleiter des Theophan zündeten Kerzen an, um zu leuchten. Eine Traube bildete sich um die Pritsche, sogar einige Kranke krochen heran und reckten die Hälse. Die Schreie des Massakrierten gellten, wurden dann aber schwächer und gingen in Stöhnen und Wimmern über.
Auch Severinus hob mehrmals den Kopf und versuchte, sich aufzuraffen. „Wasser!“ keuchte er, aber niemand kümmerte sich um ihn. Plötzlich hatte er einen Dolch in der Hand. Er fuchtelte mit der Waffe und gab unverständliche, drohende Laute von sich. Die Gruppe des Theophan wurde aufmerksam und stob rechtzeitig auseinander, als der Dolch auf sie zuflog. Doch der Wurf hatte keine Kraft, die Spitze der Klinge stieß gegen die Pritsche des Ceslin und fiel zu Boden. Severinus sank auf sein Lager zurück und rührte sich nicht mehr.
„Hat ausgelitten!“ befand Bruder Theophan, der sich, noch immer mit dem blutigen Knochenschaber in der Hand, über ihn beugte. „Armer Schacher. Aber Gott wird verzeihen. Auch dem dort …“ Er deutete auf den Ceslin, der in den Armen des Zacharias hing, in Ohnmacht gefallen, als sich der Riese mit ihm auf die Seite geworfen hatte. „Foi, wir können ihn nicht mehr retten. Sagt Bruder Prior Bescheid, er soll kommen.“
Er warf den Schaber in die Schüssel des Subulcus und wandte sich ab.
„Ihnen allen der Herr wird gnädig verzeihen“, wiederholte er langsam mit seiner quäkenden Stimme. Plötzlich wurde er feuerrot und begann zu zittern. Mit ein paar raschen, kurzen Schritten war er bei dem Kranken, der zwischen Odo und mir lag. Er riß ihm den Lappen vom Gesicht und kreischte:
„Aber du wirst schmoren in Höllenfeuer! Pornos! Hurenbock! Du bist verdammt!“ Mit diesen Worten stürzte er aus dem Saal.
Der Mann, dessen unbedecktes Gesicht im düsteren Licht der Kerzen mehr zu erraten als zu erkennen war, weil ihm ein Schwerthieb die Stirn geteilt, die Nase zerschlagen und die Lippen gespalten und weil ihm ein tödlicher Schreck die Haare gebleicht hatte, war – Fabiolus.
Er hatte aufgeschrien bei der rohen Behandlung durch Theophan.
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