Odo und Lupus 05 - Pilger und Mörder
Willkür ihn, den Frommen, nicht beugen könne, psalmodierte er fast ununterbrochen und machte nur ab und zu eine Pause, vermutlich um sich von den Kniebeugen auszuruhen.
„Seid vorsichtig!“ sagte Rouhfaz ernst. „Wenn Ihr ihm Unrecht tut, kommt Ihr bestimmt nicht zu Gott!“
„Ich wäre schon mit dem Paradies zufrieden“, erwiderte ich. „Aber sprechen wir doch von Wichtigerem. Hast du etwas gefunden, das …“
„Ihr haltet es nicht für das Wichtigste, in welche Abteilung Ihr nach Euerm Tode kommt?“ unterbrach er mich.
„Gewiß, gewiß … doch das hat ja vielleicht noch Zeit.“
„Und wenn auch Ihr nun das Garum gegessen hättet?“
„Rouhfaz! Wir müssen …“
„Erst müßt Ihr mir eine Frage beantworten, Vater! Wohin werde wohl ich von Petrus geschickt, Eurer Meinung nach?“
„Rouhfaz“, antwortete ich seufzend, „wie soll ich das wissen? Zweifellos bist du ein guter Christ. In die Hölle kommst du bestimmt nicht.“
Das hätte ich nicht sagen sollen. Unser fadendünner Schreiber drehte sich brüsk auf seinem Hocker um und wandte mir den Rücken. Seine asketischen Hinterbacken, nicht viel größer als Kinderfäuste, blickten mich vorwurfsvoll an.
„So ist das also!“ sprach er zur Wand. „Ihr nehmt für Euch das Paradies in Anspruch, ich aber komme gerade noch ins Fegefeuer!“
„Das meinte ich damit nicht, beruhige dich! Warum sollst du nicht auch ins Paradies kommen?“
„Daran glaubt Ihr aber nicht!“
„Ich wünsche es mir. Ich werde sogar dafür beten.“
„Wenn Ihr erst dafür beten müßt, habe ich es Eurer Meinung nach noch nicht verdient!“
„Wissen wir denn, was wir verdient haben?“
„Daß ich vielleicht auch an Gottes Thron sitzen könnte, haltet Ihr wohl überhaupt nicht für möglich?“
„Nun, da sitzen die Auserwählten … die heiligen Männer und Frauen …“
„Vielleicht bin ich auch ein Auserwählter! Ihr denkt, ich bin ein gewöhnlicher Sünder, nur für niedere Dienste gut. Euer Knecht, Euer Schreibsklave! Vielleicht will ich es so … vielleicht werde ich einmal dafür belohnt! Sagt nicht der Herr Jesus Christus: ‚Wer sich selber erniedrigt, soll erhöht werden‘?“
So ging es weiter. Rouhfaz hatte wieder einmal einen Anlaß gefunden, beleidigt zu sein und sich zu beklagen. Warum mußte ich bei der Wahl meines Schreibers ausgerechnet an diesen geraten, der zwar eine schöne Handschrift hat, aber der schlimmste Zankteufel unter der Sonne ist! Leider brauchte ich ihn jetzt dringend, sonst hätte ich ihm einen Fußtritt in seinen auserwählten Hintern gegeben. Statt dessen endete es damit, daß ich seine Anwartschaft auf Einweisung in die erste Abteilung der Seligen anerkannte, mit einem Ehrenplatz gleich an den Stufen zu Gottes Thron. Nach einigem Schmollen war er bereit, sich dafür weiter zu ‚erniedrigen‘ und mir zu dienen.
Auch Sallustus zeigte sich heftig bemüht, unter den Augen des Allmächtigen Gnade zu finden, sowohl in diesem als auch in jenem Leben. Unentwegt schien er damit beschäftigt zu sein, sich eine Vorzugsbehandlung zu sichern. So wollte er beispielsweise von einer der Autoritäten wissen, ob man einen bestimmten Heiligen mit einer Messe, die man zu seiner Ehre feiere, zur Fürbitte bei Gott verpflichten könne. In einem anderen Schreiben fragte er an, was er Besonderes tun müsse, damit seine Seele schon zu Lebzeiten einmal den Körper verlassen und unter Führung eines Engels das Jenseits besuchen dürfe. Und dann war da noch ein Blatt, das mich aufmerken ließ. Er fragte wiederum einen ‚heiligen Mann‘, ob ein in fleischlicher Sünde lebender Hirte sein geistliches Amt nicht beschmutze und ob es verdienstvoller sei, solchen Mißstand zu dulden oder ‚mit allen Mitteln‘ zu bekämpfen. Zu dieser Frage hätte ich gern die Antwort erfahren, aber es war keine auffindbar.
Dafür fanden wir etwas anderes. Mit den Worten „Hier ist vielleicht, was Ihr sucht, Vater!“ reichte mir Rouhfaz ein Blatt, welches nur noch das Fragment einer Abhandlung enthielt. Der größte Teil war mit dem Schwamm ausgelöscht oder bis zur Unlesbarkeit verschmiert. Die Schrift war nicht die des Sallustus, der hastig winzige Buchstaben hinwarf, sondern es waren große, steife, etwas unbeholfen gemalte Zeichen eines des Schreibens zwar Kundigen, aber Ungeübten.
Wir konnten noch folgendes entziffern:
„Ewig ist der Verdammnis geweiht, wer …
zu einem früheren oder späteren Zeitpunkt, doch besser zu einem
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