Odo und Lupus 05 - Pilger und Mörder
Vestibül, konnte es unmöglich schaffen.
Was ich sonst noch von Teut erfuhr, wich nicht unerheblich von dem ab, was mir der kleine Priester erzählt hatte. So habe der Bischof keineswegs eine tyrannische Herrschaft im Hause ausgeübt. Er sei eher ein sanfter Herr gewesen, freundlich und nachsichtig auch gegenüber den Unfreien, selten zornig, fast immer heiter. Sein Frohsinn sei allerdings nach dem Genusse von Wein oft in wilden Übermut ausgeartet. Er, der Teut, habe sich das damit erklärt, daß der Herr aus dem Süden stammte, wo die Leute nicht so gesetzt und vernünftig seien wie bei ihm zu Hause in Friesland. Die edle Frau Fausta sei darüber immer sehr aufgebracht gewesen und habe den Bischof heftig gescholten, doch das habe diesen nicht angefochten. Meist habe er mit einem Scherz oder manchmal auch mit einem unzüchtigen Vers geantwortet, was sie noch mehr erzürnte. Sie sei dann gewöhnlich in ihr Zimmer hinaufgestiegen und habe den Riegel vorgeschoben. Nie aber sei sie dort eingesperrt worden. Manchmal habe sie auch aus Trotz gefastet und sei tagelang nicht zum Vorschein gekommen. Schließlich habe sie es jedoch nicht mehr ausgehalten und sei in das Kloster eingetreten. Der Herr habe sie sogar zurückhalten wollen, sie aber habe geschrien, daß sie den Fuß erst wieder auf die Schwelle des Hauses setzen werde, wenn ihr Sohn volljährig sei. Dann aber werde der Bischof bitter bereuen, was er ihr angetan habe.
„Jetzt, wo der Herr tot ist, wird sie wohl wiederkommen“, sagte Teut. „Sie wird zurückkommen, ja!“
Das ‚ja‘, das er fast jedem seiner Sätze bekräftigend anfügte, klang schicksalsergeben, und er begleitete es mit einem Seufzer.
Ich begab mich also in unsere Schreibstube, wo sich Pergamente und Kodizes stapelten, die wir nach der Durchsuchung der Kammer des Sallustus dorthin geschafft hatten. Es waren für einen einfachen Priester nicht wenige. Sogar unter dem Strohlager hatten wir Wachstafeln und Schriftrollen hervorgezogen. Sallustus war ein eifriger Briefschreiber. Es fanden sich viele Entwürfe von Schreiben, mit denen er sich an Erzbischöfe, Bischöfe anderer Diözesen und verschiedene Autoritäten der Kirche gewandt hatte. Geantwortet hatten ihm allerdings die wenigsten. Im Wust dieser Schriften, die er alle aufbewahrte, um später vielleicht die Christenheit mit einem größeren Werk zu erleuchten, war das Aufspüren dessen, was mich interessierte, ein mühsames Unterfangen. Erschwert wurde es durch den Umstand, daß das kostbare Pergament meist beidseitig beschrieben war, nicht immer von derselben Hand, daß zwischen die Zeilen eines älteren Textes der neue gedrängt oder die frühere Beschriftung nur unvollkommen gelöscht war. Auch die Wachstafeln waren meist eng bekritzelt. Es bedurfte der Übung, sich in diesen Buchstabenlabyrinthen zurechtzufinden. Seit Stunden war Rouhfaz, der mir helfen mußte, bei der Arbeit. Anfangs hatte er geseufzt und genörgelt, aber allmählich gewann er Geschmack an der Sache. Er ließ sich sogar von der Lektüre fesseln. Als ich jetzt wieder eintrat, blickte er von einem der Blätter auf und sagte: „Aus diesen Briefen erfährt man erstaunliche Dinge, Vater! Wußtet Ihr, daß es im ewigen Leben vier Gruppen von menschlichen Seelen gibt?“
„Nun“, sagte ich, „das vermutet zumindest der heilige Augustinus.“
„Hier steht es: Sobald man das Himmelstor durchschritten hat, wird man von Petrus eingeteilt. Man kommt entweder zu den ‚ valde boni ‘ den sehr Guten, dann sitzt man bei Gott. Gehört man zu den ‚ non valde boni ‘, den nicht sehr Guten, wird man immer noch ins Paradies geschickt. Die ‚non valde mali ‘, die nicht ganz Bösen, kommen vorübergehend ins Fegefeuer und dürfen noch auf Befreiung hoffen. Nur die ‚ valde mali ‘, die ganz Bösen, müssen gleich zur ewigen Pein in die Hölle.“
„Steht das in einem Brief des Sallustus?“
„Es ist ein Entwurf und an einen gerichtet, den er mit ‚homo sanctus‘ {14} anredet. Er fragt darin an, was man auf Erden alles tun müsse, damit man zu Gott und nicht nur ins Paradies kommt.“
„Ah, sieh einmal an! Das Fegefeuer und die Hölle kommen für ihn wohl nicht in Frage!“ sagte ich unwirsch.
Rouhfaz warf mir einen tadelnden Blick zu, denn wie als Antwort auf meine grobe Bemerkung vernahmen wir aus dem oberen Stockwerk die bekannte scharfe, durchdringende Stimme. Noch immer befand sich der Priester im Zimmerarrest. Doch als wolle er mir beweisen, daß meine
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