Odyssee: Fischer Klassik PLUS (German Edition)
Augen, worauf du so lange geharret: Odysseus
Ist gekommen, Odysseus! Und wieder zu Hause, nun endlich!
Und hat alle Freier getötet, die hier im Palaste
Trotzten, sein Gut verschlangen und seinen Telemachos höhnten!
Ihr antwortete drauf die kluge Penelopeia:
Liebe Mutter, dich haben die Götter betöret, die oftmal
Selbst die verständigsten Menschen in unverständige wandeln
Und einfältige oft mit hoher Weisheit erleuchten!
Diese verrückten gewiß auch deine richtigen Sinne.
Warum spottest du meiner, die so schon herzlich betrübt ist,
Und verkündest mir Lügen und weckst mich vom lieblichen Schlummer,
Welcher mir, ach so sanft, die lieben Wimpern bedeckte?
Denn ich schlief noch nimmer so fest, seit Odysseus hinwegfuhr,
Troja zu sehn, die verwünschte, die keiner nennet ohn Abscheu!
Aber nun steige hinab und geh in die untere Wohnung!
Hätte mir eine der andern, so viel auch Weiber mir dienen,
Solch ein Märchen verkündet und mich vom Schlummer erwecket,
Fürchterlich hätt ich sie gleich, die unwillkommene Botin,
Heimgesandt in den Saal! Dich rettet diesmal dein Alter!
Ihr antwortete drauf die Pflegerin Eurykleia:
Liebe Tochter, ich spotte ja nicht! Wahrhaftig, Odysseus
Ist gekommen und wieder zu Hause, wie ich dir sage!
Jener Fremdling, den alle so schändlich im Saale verhöhnten!
Und Telemachos wußte schon lange, daß er daheim sei;
Aber mit weisem Bedacht verschwieg er des Vaters Geheimnis,
Bis er den Übermut der stolzen Männer bestrafet.
Also sprach sie, und freudig entsprang die Fürstin dem Lager
Und umarmte die Alte, und Tränen umströmten ihr Antlitz.
Weinend begann sie jetzo und sprach die geflügelten Worte:
Liebes Mütterchen, sage mir doch die lautere Wahrheit!
Ist er denn wirklich zu Hause gekommen, wie du erzählest?
O wie hat er den Kampf mit den schamlosen Freiern vollendet,
Er allein mit so vielen, die hier sich täglich ergötzten?
Ihr antwortete drauf die Pflegerin Eurykleia:
Weder gesehn hab ich’s, noch sonst erfahren, ich hörte
Bloß der Erschlagnen Geächz. Denn hinten in unserer Wohnung
Saßen wir alle voll Angst, bei festverriegelten Türen,
Bis mich endlich dein Sohn Telemachos aus dem Gemache
Rief; denn diesen hatte sein Vater gesandt, mich zu rufen.
Und nun fand ich Odysseus umringt von erschlagenen Leichen
Stehn, die hochgehäuft das schöngepflasterte Estrich
Weit bedeckten. O hättest du selbst die Freude gesehen,
Als er mit Blut und Staube besudelt stand wie ein Löwe!
Jetzo liegen sie alle gehäuft an der Pforte des Hofes;
Und er reinigt mit Schwefel bei angezündetem Feuer
Seinen prächtigen Saal und sendet mich her, dich zu rufen.
Folge mir denn, damit ihr die lieben Herzen einander
Wieder mit Freuden erfüllt, nachdem ihr so vieles erduldet.
Nun ist ja endlich geschehn, was ihr so lange gewünscht habt:
Lebend kehret er heim zum Vaterherde und findet
Dich und den Sohn im Palast; und alle, die ihn beleidigt,
Alle Freier vertilgt’ die schreckliche Rache des Königs.
Ihr antwortete drauf die kluge Penelopeia:
Liebe Mutter, du mußt nicht so frohlocken und jauchzen!
Ach du weißt ja, wie herzlich erwünscht er allen im Hause
Käme, vor allem mir und unserm einzigen Sohne!
Aber es ist unmöglich geschehen, wie du erzählest!
Einer der Himmlischen hat die stolzen Freier getötet,
Durch die Greuel gereizt und die seelenkränkende Bosheit!
Denn sie ehrten ja keinen von allen Erdebewohnern,
Vornehm oder geringe, wer auch um Erbarmen sie ansprach.
Darum strafte sie Gott, die Freveler! Aber Odysseus,
Fern von Achaia verlor er die Heimkehr, ach! und sein Leben!
Ihr antwortete drauf die Pflegerin Eurykleia:
Welche Rede, mein Kind, ist deinen Lippen entflohen!
Dein Gemahl, der schon unten am Herde sitzt, der kehret
Nimmer nach Hause zurück? O wie gar ungläubig dein Herz ist!
Nun, so sag ich dir jetzt ein entscheidendes Merkmal, die Narbe,
Die ein Eber ihm einst mit weißem Zahne gehauen.
Beim Fußwaschen nahm ich sie wahr und wollt’ es dir selber
Sagen; allein er faßte mir schnell mit der Hand an die Gurgel
Und verhinderte mich mit weisem Bedachte zu reden.
Komm denn und folge mir jetzt. Denn ich verbürge mich selber,
Hab ich dir Lügen gesagt, des kläglichsten Todes zu sterben.
Ihr antwortete drauf die kluge Penelopeia:
Liebe Mutter, den Rat der ewiglebenden Götter
Strebst du umsonst zu erforschen, obgleich du vieles verstehest.
Aber wir wollen doch zu meinem Sohne hinabgehn,
Daß ich die
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