Odyssey 01 - In die Dunkelheit
richteten sich auf Weston, als er den Raum betrat.
Admiralin Gracen war eine stolze Frau von eindrucksvoller Größe, die mit ihrer aristokratischen Haltung ganze Menschengruppen mühelos manipulieren konnte, wie sie einmal mehr bewies, als sie die Medienvertreter unauffällig in Westons Richtung dirigierte.
»Ah, Captain Weston. Treten Sie näher. Sicher brennen Sie darauf, Ihr neues Aufgabengebiet zu übernehmen.«
»Ja, Ma’am.« Weston bemühte sich um professionelles Auftreten und lächelte pflichtschuldigst, als er sich stocksteif vor die Kameras stellte. »Ich brenne tatsächlich darauf, die neuen technischen Systeme zu testen.«
»Wunderbar. Also, fangen wir an. Sind alle so weit?«
Nach allgemeiner Zustimmung wurden die Lampen gedimmt, und Gracen drückte auf verschiedene Tasten. Weston war klar, dass die Admiralin soeben die Aufzeichnungsgeräte des Schiffs aktiviert hatte, damit sie den Kommandowechsel auf der Odyssey für die militärischen Archive festhielten.
Gleich darauf beugte Gracen sich nach unten und holte aus einer Schachtel neben ihrem Sessel ein kleines goldenes Rangabzeichen aus selbsthaftendem Stoff heraus. »Eric Weston, bisheriger Kommandant der Fliegerstaffel Archangels, hiermit ernenne und befördere ich Sie zum Captain der NACS Odyssey und übertrage Ihnen alle Pflichten und Rechte dieses Amtes.«
Die Kameras fokussierten die Hand der Admiralin, die das Rangabzeichen des Captains an Westons linker Schulter befestigte. Danach trat Gracen einen Schritt zurück und schüttelte Weston die Hand. »Meinen Glückwunsch, Captain.«
»Ich danke Ihnen, Admiralin. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden, ich muss …«
»So einfach kommen Sie uns nicht davon, Captain! Schließlich sind Sie hier der Ehrengast, und wir müssen uns ans Protokoll halten.«
Als Weston klar wurde, dass ihm keine Fluchtmöglichkeit blieb, seufzte er innerlich. Allerdings wurden ihm anschließend so viele Würdenträger und Medienvertreter vorgestellt, dass der Rest des Abends wie im Fluge verging. Auch die Pressekonferenz stand er irgendwie durch, konnte sich später jedoch kaum an deren Ablauf erinnern. Rund die Hälfte der ihm gestellten Fragen beantwortete er mit der Floskel »Kein Kommentar«, wenn auch in etwas gewählterer Formulierung. Bei der anschließenden Party war ihm so mulmig im Magen, als hätte er drei Kampfeinsätze in Folge hinter sich. Trotzdem tat er sein Bestes, die Fluchtgedanken zu kaschieren, bediente sich anstandshalber hin und wieder am Büffet und sagte im Vorübergehen all die Dinge, die man von ihm erwartete. Zumindest entschädigte das üppige Essen die Anwesenden für Westons mangelnde Gesprächsbereitschaft.
Doch trotz aller Versuche gelang es Weston nicht, eine bestimmte Reporterin abzuschütteln.
»Captain Weston! Entschuldigung, darf ich Sie kurz stören?«
Als er sich umdrehte, wusste er bereits, wem die Stimme gehörte, fuhr aber trotzdem zusammen, als die Frau nur Zentimeter von ihm entfernt auftauchte.
»Miss Lynn, wie schön, Sie wiederzusehen.«
Sie grinste kurz. »Ganz meinerseits, Captain. Ich würde Ihnen gern noch ein paar Fragen stellen.«
»Ich bitte Sie, Miss Lynn. Ich habe Ihre Fragen doch schon beantwortet, so gut ich konnte. Viele Dinge, die die Mission der Odyssey und deren Besatzung betreffen, unterliegen der Geheimhaltung, wie Sie sicher verstehen werden.«
Die Frau bedachte Weston mit einem wissenden Blick. Ihre skeptische Miene verriet deutlich, was sie von Westons Antworten hielt. Die junge Reporterin war eine Medienvertreterin des Ostblocks, zu dem China, Teile der ehemaligen Sowjetunion, Korea, Indien und viele weitere Staaten gehörten. Dieser Block war so mächtig und so gut gerüstet, dass die Vereinigten Staaten gezwungen gewesen waren, einen neuen Verteidigungspakt mit Kanada und Mexiko abzuschließen. Zwar hatten beide Seiten vom Einsatz atomarer Waffen abgesehen, aber durch die gewaltsamen Auseinandersetzungen war die Infrastruktur aller beteiligten Staaten massiv geschädigt worden. Das war ein Hauptgrund für die Gründung der Nordamerikanischen Föderation gewesen.
Weston war dieser Reporterin schon früher begegnet, in Beijing. Seinerzeit war sein Kampfjäger abgeschossen worden, und er hatte sich quer durch gegnerisches Terrain auf die Suche nach Ersatzteilen für die Reparaturen begeben müssen. Die Einmischung dieser Frau hätte ihn fast das Leben gekostet, und er wurde das Gefühl nicht los, dass sie nur hier war, um ihn
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