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Ödland - Thriller

Ödland - Thriller

Titel: Ödland - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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übersäten Stufen und erreichen die ehemalige Terrasse, auf der große Löcher gähnen. Überall herrscht die gleiche Verzweiflung.
    In Timimoun wurde inzwischen ein Krisenstab eingerichtet, dessen Mitglieder noch damit beschäftigt sind, sich einen Überblick über die Schäden zu verschaffen. 176 Ksour sind betroffen. Die vorläufige Bilanz liegt bei 2000 Toten oder Vermissten, etwa 20000 Menschen haben ihr Obdach verloren.
    ›Bisher sehen wir lediglich die Spitze des Eisbergs‹, erklärt uns Mouloud vom Krisenstab. ›Die großen Entfernungen zwischen den Ksour und die oft schwierige Anfahrt, vor allem, wenn die Siedlungen mitten in einem Erg liegen, erschweren unsere Aufgabe ganz gewaltig.‹
    Dies gilt zum Beispiel für den fast völlig zerstörten Ksar Tebbou. Er liegt in einem Erg und gehört zu den Dörfern, in denen das Unwetter am heftigsten wütete ...« Klick.
    »Warum hast du das Radio ausgemacht?«
    »Weil ich es leid bin, mir diese unendlichen Litaneien über Schäden, Opfer und die Verzweiflung der Überlebenden anzuhören. Es kotzt mich einfach nur noch an.«
    »Ich wollte den Bericht aber gern hören!«
    Laurie greift nach der Fernbedienung und schaltet das Radio wieder an.
    »... die dramatischen Szenen in Aghled. Wer das Innere des Ksar betritt, versteht sofort die unendliche Verzweiflung der Bewohner. Berge von getrocknetem Schlamm, eingestürzte Häuser aus Lehmzie...« Klick.
    »Ich habe Nein gesagt, Laurie. Wenn du die Stille nicht erträgst, kannst du ja Musik einschalten.«
    »Darf ich dich daran erinnern, dass wir für eine humanitäre Einrichtung arbeiten, Rudy? Und weißt du, was ›humanitär‹ bedeutet? Wir sind verpflichtet, Katastrophenopfern zu helfen. Sie zu retten, zu unterstützen und ihnen das Lebensnotwendigste zu geben - auch wenn es nur Trost ist. Und was machst du? Beim ersten Regentropfen bist du abgehauen wie ein auf frischer Tat ertappter Dieb. Du hast dich weder bei unseren Gastgebern bedankt noch sie gewarnt.«
    »Hör auf, dich zu gebärden wie Mutter Teresa. Was wäre denn passiert, wenn wir dortgeblieben wären? Hast du auch nur eine Sekunde darüber nachgedacht? Wir wären von dem Gewitter heimgesucht worden, genau wie sie. Vielleicht wären wir in einem eingestürzten Haus krepiert. Oder der Mercedes wäre von einer Schlammlawine davongetragen worden. Möglicherweise wäre auch bloß die Straße unpassierbar geworden, dann hätten wir zwar bestenfalls nur festgesessen, wären aber trotzdem in die Bredouille gekommen. Hast du vergessen, dass wir unterwegs sind, um Menschen zu retten? Menschen, die da unten im Süden dabei sind zu verdursten, weil sie auf das Scheißmaterial warten, das wir fröhlich in der Wüste spazieren fahren.«
    »Mag schon sein, trotzdem halte ich dich für einen ekelhaften Egoisten, der nur daran denkt, seine Haut zu retten. Du hast ihnen nicht einmal Bescheid gesagt! Du hast sie einfach weiterfeiern lassen! Sie hatten keine Ahnung, was da auf sie zukam. Mensch, Rudy, mit dem Lastwagen hätten wir das Dorf evakuieren können! Wir hätten Tote und Verletzte vermeiden können!«
    »Überleg mal!« Rudy zuckt die Schultern. Jenseits der staubigen Windschutzscheibe erstreckt sich eine endlos scheinende, blendende Sandwüste. Er muss die Augen zusammenkneifen. »Wie viele von ihnen hätten wir mitnehmen können? Höchstenfalls hundert. Und wen? Nach welchen Kriterien hättest du sie ausgewählt? Und was hättest du den anderen gesagt? ›Bleibt hier, wir holen euch später‹? Dann wäre es aber zu spät gewesen, Laurie! Du hast selbst miterlebt, wie wir wie die Verrückten durch das Tal geprescht sind; wir sind ohne Rücksicht auf einen Platten oder einen Achsenbruch wie die Wilden geheizt, und trotzdem sind wir fast gleichzeitig mit dem Unwetter an der befestigten Straße angekommen - und du weißt, wie es geschüttet hat! Ich halte es noch immer für eine Art Wunder, dass wir Adrar überhaupt erreicht haben.«
    Bei der Erinnerung an die vergangene Nacht zittert Rudy trotz der Backofenhitze, der die schlecht reparierte Klimaanlage kaum Herr wird. Er denkt daran, wie er aufs Geratewohl über die von Sturzbächen überflutete Straße schlingerte, wie er in den Schlammmassen aufgeweichter Dünen ins Rutschen geriet, wie er sich im Toben der Elemente bemühte, einigermaßen die Spur zu halten, geblendet von Blitzen, die ein wüstes Chaos aus Sand und Wasser beleuchteten, betäubt vom Donner, der die Karosserie erzittern ließ, und geschüttelt

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