Ödland - Thriller
von Windböen, die den Lkw um Haaresbreite von der Straße gefegt hätten.
Mit dem allgegenwärtigen Staub, dem Sand, der kaum erträglichen Hitze bei Tag und der eisigen Kälte der Nächte hat Rudy sich abgefunden; auch die glühende Sonne und der Scirocco, der aus der Hölle selbst zu wehen schien, machen ihm wenig aus - aber nie hätte er mit der Gefahr gerechnet, mitten in der Wüste um Haaresbreite zu ertrinken. Zwar hinkt der Vergleich mit dem Reich des schwappenden, flüssigen Todes, über das er mit dem Zodiac geschippert war, doch die grauenhaften Erinnerungen werden trotzdem wieder wach; damit hätte er ausgerechnet hier, im Reich des trockenen, sandigen Todes, nie und nimmer gerechnet.
»Dein Standpunkt ist viel zu persönlich geprägt«, beharrt Laurie. »Im Lauf meiner humanitären Einsätze habe ich gelernt, dass nur gegenseitige Hilfe und Kooperation in der Lage sind, Überleben zu garantieren. Überlegungen wie ›Ich bringe mich in Sicherheit - sollen die anderen doch sehen, wie sie zurande kommen‹ führen zu Panik, Streit und großem Stress. Wir hätten den Leuten helfen können, Rudy! Mit unserem Lastwagen und unserem Know-how hätten wir es geschafft!«
»Was hätten wir geschafft? Und was meinst du mit unserem Know-how? Für wen hältst du dich eigentlich? Für die haushoch überlegene Westlerin, die mit ihrer wunderbaren Technologie die armen, kleinen Primitiven rettet, die in ihrem Schlammloch festsitzen? Ihr Humanitären seid doch alle gleich! Bei jeder Katastrophe tanzt ihr mit eurer Ausrüstung, eurem transgenen Reis und eurem Scheiß-Know-how an und erklärt aus der Höhe eurer unendlichen Überlegenheit den armen Dummköpfen, die sich nicht selbst beschützen konnten - Schnauze, Laurie, genau so seht ihr sie doch! -, also, ihr erklärt ihnen: ›Keine Sorge, Freunde, jetzt ist der Weihnachtsmann aus dem Westen ja bei euch. Wir werden die Sache schon in Ordnung bringen, denn schließlich sind wir die Größten!‹«
»Du hast noch nie...«
»O doch, Laurie! Ich habe eine Umweltkatastrophe erlebt, und zwar als Opfer. Und nicht in einem Land der Dritten Welt, wo nur noch ausgehungerte Zombies rumlaufen, sondern in einem der fortschrittlichsten und zivilisiertesten Länder der Erde. Und weißt du was? Die Hilfskräfte sind dort genauso überfordert, haben keine Mittel zur Verfügung und stehen dem Ausmaß der Katastrophe ebenso hilflos gegenüber. Wenn ich mir nicht selbst geholfen hätte, wäre ich vermutlich mit offenem Maul krepiert wie die Fische im Ijsselmeer.«
»Du lügst dir was in die Tasche, Rudy. Als der Deich explodiert ist, warst du in Brüssel in Sicherheit. Und wenn ich deine Argumentation richtig verstanden habe, sollte man es den Leuten selbst überlassen, mit ihrer Not und Verzweiflung zurande zu kommen - und die Stärksten überleben. Richtig?«
»Genau. Im Grunde genommen haben wir längst den Punkt erreicht, wo die natürliche Auslese einsetzt und nur die Stärksten überleben. Wir wissen zwar nicht, für wie viele Jahre, aber die Natur ist uns längst nicht mehr wohlgesonnen. Niemandem! Wir sind mitten im strugglefor life, ob wir wollen oder nicht, und es wird von Tag zu Tag härter.«
»Manchmal habe ich den Eindruck, dass deine Zeit beim Kommando Survival dir ein paar merkwürdige Ideen in den Kopf gepflanzt hat. Hast du dir schon einmal zugehört? Merkst du nicht, dass deine Ansichten manchmal ganz schön in Richtung Faschismus abdriften?«
Rudy zuckt erneut die Schultern, weiß aber keine Antwort. Er muss zugeben, dass seine Argumentation von außen betrachtet vielleicht tatsächlich ein wenig faschistisch klingen könnte. Aber Laurie hat nicht das erleben müssen, was er erlebt hat - mit einem Schlag Frau, Kind, Haus, Arbeit und jeglichen Lebenssinn zu verlieren, in einem Flüchtlingslager zu hocken, wo Liebe und Güte mit dem Tod bestraft werden, Jagd auf sogenannte »Wilde« zu machen, und zwar gemeinsam mit einem Haufen Verrückter, die hervorragende SS-Leute abgegeben hätten ... Nun gut, Lauries Eltern sind gestorben, weil sie vergifteten Fisch gegessen hatten, aber wer kann heutzutage schon von sich behaupten, keinen einzigen nahen Angehörigen verloren zu haben? Okay, sie hat bei ihren humanitären Einsätzen vielleicht auch wahre Not und tiefste Verzweiflung erlebt; aber sie hat sich selbst dafür entschieden, in die betroffenen Gebiete zu gehen, und anschließend konnte sie in den Schutz ihres gemütlichen Zuhauses zurückkehren. Er selbst hatte
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