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Ödland - Thriller

Ödland - Thriller

Titel: Ödland - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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keine Wahl - er war gezwungen, sein eigenes Drama zu durchleben, er musste kämpfen und sogar töten, um überleben zu können, und solche Erlebnisse machen halt hart und wenig mitfühlend für das Unglück anderer Menschen. So ist es eben!
    Und trotzdem riskiert er Kopf und Kragen, um mit einem nicht ganz intakten Lkw den Tanezrouft zu durchqueren - die Mutter aller Wüsten, das Land des Durstes und des Schreckens - und ein paar ausgehungerten und halb verdursteten Bauern eine Bohrausrüstung zu bringen, also Menschen, die seiner eigenen Argumentation und Logik zufolge keine Überlebenschance haben.
    Ein wahrer Faschist würde so etwas vermutlich nicht tun.
    Tanezrouft
    Einige Autoren sind der Ansicht, dass die Überlieferungen der Araber ausschließlich auf ihre Fantasie zurückzuführen sind, die durch die Einsamkeit in den qifâr, die Isolation in den Wadis und lange Märsche durch einsame, trostlose Gegenden und wilde Steppen in gewisser Weise überreizt ist. Es ist richtig, dass ein Mensch, der an solchen Orten mit sich allein ist, zu düsteren, zu Furcht und Ängstlichkeit tendierenden Träumereien neigt. Angst aber öffnet sein Herz für verlogenen Aberglauben und gefährliche Hirngespinste, die häufig zur Melancholie führen. In einem solchen Fall beginnt er, Stimmen zu hören und Gespenster zu sehen ...
al-Mas'ûdî, in: Les Prairies d'Or über die hawâtif, die Geister der Toten
    Am Ortsausgang von Reggane ragt neben einer rot-weiß markierten GPS-Säule ein Hinweisschild auf, das auf Französisch und Arabisch verkündet:
ACHTUNG!
HÖCHSTE VORSICHT GEBOTEN.
VERLASSEN SIE KEINESFALLS DIE MARKIERTE PISTE!
    Die Markierung besteht aus mit Sand gefüllten 200-Liter-Ölfässern, die im Abstand von etwa zehn Kilometern beiderseits der Straße aufgestellt sind. Der Wirt und Tankwart der Raststätte in Reggane, bei dem sie die Wasser- und Gastanks des Mercedes noch einmal bis oben hin füllen ließen, erklärte ihnen, dass früher einmal, als eine Durchquerung der Sahara noch als touristisches Abenteuer galt, die Regierung die Piste teeren und die Ölfässer durch mit Sonnenkollektoren betriebene Wegzeichen ersetzen ließ, was sehr hübsch aussah. Leider war die Annehmlichkeit nicht von langer Dauer. Die Eingeborenen, vor allem die Tuareg, bemächtigten sich der Sonnenkollektoren, die Wegzeichen verschwanden eines nach dem anderen, und der Asphalt wurde vom Schwerverkehr beschädigt, von der Sonne aufgeweicht und von den Sandwinden abgetragen.
    »Die Technologie von euch roumis ist eben dem Tanezrouft nicht gewachsen«, schloss der Tankwart. »Und wenn ihr in dem Gebiet eine Panne habt und nicht innerhalb von vier Stunden gefunden werdet, seid ihr tot. Wollt ihr nicht vielleicht doch lieber auf einen Konvoi warten?«
    Und jetzt sind sie mitten in der Mutter der Wüsten. Sie haben die letzten Anzeichen von Zivilisation und Vegetation hinter sich gelassen wie eine Küstenlinie, die langsam hinter dem Horizont verschwindet. Sie bewegen sich auf einer vollkommen flachen Ebene aus Sand und Geröll, die ihnen so unfruchtbar erscheint wie die Marsoberfläche. Laurie ist starr vor Angst. Hinter den schwarzen Gläsern ihrer Sonnenbrille fixiert sie den weiß glühenden, leeren Horizont wie ein Seemann, der Ausschau hält nach dem rettenden Land. Draußen herrschen 65 Grad Celsius, drinnen im Führerhaus sind es immerhin noch 48 Grad. Die Klimaanlage pfeift und schnauft, manchmal setzt sie auch ganz aus. Der Motor ist längst überhitzt. Alle Warnlampen leuchten. Sobald ein Alarm aufschrillt, schaltet Rudy ihn ab. Von Reggane bis Bordj Mokhtar, der nächstgelegenen menschlichen Behausung, sind es 620 Kilometer. Bis dahin muss Rudy durchhalten, darf keine Pause machen und vor allem nicht einschlafen. Er hält den Blick starr auf die sich kreuzenden Reifenspuren gerichtet, monoton wie die weißen Streifen auf einer Autobahn, oder auf den wie mit einem Skalpell vom glühenden Himmel abgeschnittenen Horizont. Nicht einschlafen, wenn man nichts anderes sieht als Sand und Geröll, Sand, Geröll, Sand, Geröll, Saröll ... Die Wegmarkierungen, ein ausgeschlachtetes Autowrack ohne die geringste Spur von Rost, gebleichte, undefinierbare Knochen, der vertrocknete Kadaver eines Zugvogels, der auf seiner gefährlichen Reise vor Erschöpfung gestorben sein mag ... Es riecht nach Silizium, glühendem Metall, heißem Öl und getrocknetem Schweiß ... Der Lkw rattert, der brennende Wüstenwind seufzt und stöhnt ...
    Laurie und Rudy

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