Ödland - Thriller
Alimatou Tag für Tag, den ausgehungerten Arbeitern ein deftiges, schmackhaftes Essen vorzusetzen, das es ihnen gestattet, mit Elan an ihre Arbeit zurückzukehren, trotz der Wetterbedingungen, die sich irgendwo zwischen Hochofen und Hölle eingependelt haben, wenn nicht gerade der Harmattan weht und den Himmel trübt, die Haut austrocknet, die Ausrüstung versanden lässt und die gesamte Baustelle mit einer einheitlich rötlichen Lateritschicht überzieht. Die Angestellten werden besser ernährt als die Mehrzahl der Einwohner von Kongoussi. In den Augen der armen Teufel, die sich nach wie vor auf das Gelände stehlen, um dort eigenhändig zu graben, lebt man auf der Baustelle wie im Schlaraffenland. Es ist einer der Gründe, weshalb immer wieder Leute um Arbeit nachfragen. Jeden Morgen findet sich vor dem Eingang eine lange, mit Eimern und allerlei Werkzeugen bewaffnete Menschenschlange ein. Man wedelt mit einem flüchtig zusammengeschusterten Lebenslauf oder rühmt sich besonderer Kompetenz. »Ich grabe dir innerhalb von fünfzehn Minuten ein Loch von einem Meter Tiefe. Ehrlich!« - »Braucht ihr vielleicht einen begabten Elektroniker? Ich kann Fernseher reparieren ...« - »Wenn es um Zementguss geht - ich bin der beste Maurer von ganz Kongoussi!« - »Mein Vater war Wünschelrutengänger. Ich weiß genau, wie man Wasser findet.« Die Schlange hält sich, obwohl über dem Eingang inzwischen ein Schild mit der Aufschrift Z URZEIT KEINE FREIEN A RBEITS plätze hängt. Wieder obliegt es Abou und seiner Einheit, den Leuten freundlich, aber unmissverständlich zu erklären, dass es nichts nütze, vor dem Gitter zu warten, und dass die Leute ruhig nach Hause gehen könnten. Ganz ohne Anschnauzen, Beleidigungen, Zusammenstöße und manchmal auch Krawalle geht es natürlich nicht ab. Als Hauptgefreiter darf Abou inzwischen glücklicherweise delegieren und ist nicht mehr ständig gezwungen, in der ersten Reihe anzutreten. Jetzt ruft man ihn nur noch in heiklen Fällen, wie etwa: »Ich bin der Neffe eines angeheirateten Cousins der Präsidentin. Sie müssen mir einfach Arbeit geben!« Oder: »Ich habe einen Brief vom Bürgermeister, in dem er mir beim Leben seiner Mutter schwört, dass ich hier Arbeit bekomme.« Oder auch: »Ich habe fünfhundert Kilometer zu Fuß zurückgelegt, um hier zu arbeiten. Sehen Sie doch, wie meine Füße bluten! Könnte ich wenigstens einen Schluck Wasser bekommen?«
Dank seines neuen Dienstgrades und der Tatsache, dass er der Sohn der Präsidentin ist, muss Abou nicht mehr in der stickigen Zeltstadt der Garnison unterkommen und sich mit den ebenso kargen wie faden Mahlzeiten begnügen, sondern bewohnt zusammen mit seinem Bruder eine vom Bürgermeister zur Verfügung gestellte Dienstwohnung in einem relativ modernen Haus in der Innenstadt, in dem es fließendes Wasser und Strom aus Sonnenenergie gibt. Die Wohnung hat früher dem stellvertretenden Direktor der CooBam gehört, wie Étienne Zebango den Brüdern erklärte, die Familie wanderte in der Hoffnung auf ein besseres Leben an die Elfenbeinküste aus und wurde Opfer eines Vorstoßes der ivorischen Armee, bei dem sie alle ihr Leben ließen. »Ja, leider schießt die Armee der Elfenbeinküste inzwischen sofort scharf. Sie dulden keine Einwanderer aus Burkina Faso mehr innerhalb ihrer Grenzen.« Es gibt also keinen stellvertretenden Direktor der landwirtschaftlichen Kooperative mehr, und auch der Direktorposten besteht inzwischen nur noch ehrenhalber. »Aber jetzt wird sich sicher vieles ändern. Moussa Keita bekommt bald neue Arbeit.«
Abou freut sich, wieder mit seinem Bruder zusammen zu sein, den er nicht mehr gesehen hat, seit er im Alter von zwanzig Jahren zum Studium nach Deutschland ging. Moussa hingegen stellt hingerissen fest, dass aus dem schmächtigen, gerade mal dreizehnjährigen Jungen, der lieber mit seinen Freunden spielte als zur Schule ging, fünf Jahre später ein ernster, gewissenhafter junger Mann geworden ist, auf den seine Vorgesetzten große Stücke halten und dem zweifellos eine höhere militärische Laufbahn offensteht.
»Dir gefällt es bei der Armee, nicht wahr?«, fragt er Abou eines Abends, als er zu müde und zu schlapp von der großen Hitze ist, um an seinem Laptop zu arbeiten und sich mit Deka-Newton, Megapascal, Umdrehungen pro Minute, Masse und Volumen zu beschäftigen. »Machst du weiter? Willst du Offizier, Captain und Hauptmann werden?«
»Ich glaube kaum«, antwortet Abou und verzieht das Gesicht.
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