Ödland - Thriller
zu lassen und in der Zwischenzeit seine Geschäfte so gut wie möglich vor ihr zu verbergen.
Plötzlich flammt im Zimmer Licht auf. Erst jetzt stellt Fuller fest, wie dunkel es draußen geworden ist. Die Kabel und Schläuche, an die er angeschlossen ist, verhindern, dass er aufsteht und nachsieht, doch die tiefviolette Farbe des Himmels, die dräuenden Wolken und eine Art elektrischer Ladung in der Luft lassen auf einen Tornado, einen Orkan, einen Hagelsturm oder einen Jahrhundertregen schließen. Fuller schaltet den Fernseher aus, um besser hören zu können. Das Summen der Apparaturen wird von einem fernen, andauernden Grollen übertönt, das an eine Lawine erinnert. Durch die Wolken zucken jetzt ununterbrochen Blitze; das pfeifende, von Krachen durchsetzte Brüllen ist typisch für einen Tornado. Gut, dann sind jetzt also wir dran, denkt Anthony fatalistisch und hofft, dass das Krankenhaus solide genug gebaut ist.
Als wollten sie ihm widersprechen, flackern die Lichter kurz auf. Jetzt haben die Generatoren übernommen, denkt er. Den Apparaten, an die er angeschlossen ist, hat die kurze Stromschwankung nichts ausgemacht. Die Lämpchen leuchten weiterhin grün, und seine biologischen Funktionen werden nach wie vor als Kurven aufgezeichnet. Auf dem Flur hört man Rufe und Rennen. Eine Schwester stürzt in Fullers Zimmer, fragt, ob alles in Ordnung wäre, und tröstet ihn, er brauche keine Angst zu haben, das Krankenhaus sei tornadosicher gebaut. Allerdings solle er den Fernseher ausschalten.
»Schon geschehen«, antwortet Fuller. »Und Angst vor Tornados habe ich auch nicht.«
»Wären doch alle Patienten so wie Sie!«
Die Krankenschwester wirft einen Blick auf ihren Handgelenkcomputer und rennt davon.
Der Lärm des Tornados übertönt jetzt das näher kommende Donnergrollen; die Wolke, die Anthony im Fensterausschnitt sieht, scheint wie ein überdimensionaler, gelblich grauer Trichter bis auf den Boden zu reichen. Wenn Fuller die Augen zusammenkneift, kann er sogar Trümmer erkennen, die in diesem Wirbel im Kreis herumgeschleudert werden - Trümmer, die durchaus Autos oder ganze Dächer sein können.
Der Lärm wird ohrenbetäubend und schrecklich. Der Druck verstopft Anthonys Ohren. Er schluckt mit viel Mühe. Die Trümmer, die jetzt deutlich sichtbar sind, prasseln wie ein tosender Hagel auf das Dach und gegen die Fensterscheiben des Krankenhauses. Ein Stück Schrank knallt frontal gegen das Fenster von Anthonys Zimmer. Die Scheibe zittert, hält aber stand. Der gelbliche Trichter scheint sich in höchstens ein paar Dutzend Metern Entfernung zu drehen, doch ohne einen Anhaltspunkt kann Fuller seinen Durchmesser nicht feststellen. Ist das etwa ein Lkw-Anhänger, den die Windhose da gerade eingesaugt hat? Das Krankenhaus bebt, die Fensterscheiben vibrieren. Fuller bemüht sich, sein wild pochendes Herz zu beruhigen, das die Apparaturen zum Piepsen bringt. Draußen im Flur scheint Panik zu herrschen. Man ruft, man schreit, man rennt. Dabei müssten die Leute eigentlich längst an dieses Phänomen gewöhnt sein, denn Kansas wird inzwischen von mindestens hundert schweren Tornados im Jahr heimgesucht.
Mitten im dicksten Tohuwabohu öffnet sich die Tür erneut. Dieses Mal aber ist es keine gehetzte Krankenschwester, sondern Fullers Anwalt Grabber, der eintritt. Er sagt etwas, das Fuller vor lauter Getöse nicht versteht, und schüttelt ihm lächelnd die Hand.
»Gute Nachrichten?«, brüllt Anthony.
Grabber hält sich die Hand ans Ohr, dann schüttelt er den Kopf: unmöglich, etwas zu verstehen. Es ist, als stünden sie mit dem Kopf unmittelbar vor einem mit voller Kraft arbeitenden Triebwerk. Der Anwalt gerät auf dem schwankenden Fußboden ins Straucheln und zieht es vor, sich auf Fullers Bett zu setzen. Gemeinsam warten sie darauf, dass das Chaos nachlässt, und zucken jedes Mal zusammen, wenn ein herumwirbelndes Trümmerstück gegen die Fensterscheiben kracht, die zwar deutliche Einschlagstellen zeigen und in ihren Rahmen beben, aber prima durchhalten.
Irgendwann zieht der Tornado weiter. Sein Getöse entfernt sich. Es ist wieder möglich, sich zu verständigen, wenngleich man gegen die Donnerschläge und das Prasseln des Hagels anschreien muss. In den Straßen der verwüsteten Stadt jaulen die Sirenen wie umherirrende Klagen.
»Sie sind mir vielleicht einer«, grinst Fuller. »Sie machen es sich wohl zur Angewohnheit, immer dann aufzutauchen, wenn es draußen drunter und drüber geht. Beim letzten Mal
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