Ödland - Thriller
den Himmel. Die Menge tobt. Claire Kando, die sich ein wenig im Hintergrund hält, macht ihrer Präsidentin ein Zeichen, dass es nun genug sei mit der Wasserverschwendung. Fatimata lässt den Menschen noch einen Augenblick Zeit, ihrer Freude Ausdruck zu verleihen, ehe sie ihren Sohn nach unten schickt, um das Absperrventil zu schließen. Erneut greift sie zum Mikrofon.
»Freunde, die Ministerin für Wasserversorgung hat mich ermahnt, nicht zu viel von diesem kostbaren Nass zu vergeuden. Sie hat natürlich recht. Wir werden nun damit beginnen, das Wasser in Zisternen zu pumpen, um einen Vorrat zu haben. Bis die städtischen Wasserleitungen wieder in Ordnung gebracht sind, werden wir die Wasserversorgung mit Tanklastzügen gewährleisten. Einwohner von Kongoussi, zum Dank für eure Geduld und euren Beitrag zu dieser Großbaustelle darf ich euch mitteilen, dass ihr euer Wasser eine Woche lang kostenlos erhaltet.« Der Beifall ist so laut, dass sie nicht weitersprechen kann. Lächelnd und nickend wartet sie ab. »Danach«, fährt sie fort, als die Menge sich einigermaßen beruhigt hat, »werden wir die Wasserpreise von Grund auf neu kalkulieren. Wir befinden uns nun in einer Situation, in der Wasser nicht mehr seltener als Erdöl ist und wir auch nicht jeden Deziliter akribisch zählen müssen. Die Modalitäten der Wasserversorgung, die von morgen an wieder regelmäßig stattfindet, werden wir der Öffentlichkeit über alle Zeitungen, den Sender La Voix des Lacs, die Webseite des Rathauses und öffentliche Aushänge mitteilen. Velen Dank für eure Aufmerksamkeit. Und nun lasst uns feiern!«
Bürgermeister Étienne Zebango macht ihr ein Zeichen, dass er auch noch etwas sagen möchte. Fatimata reicht ihm das Mikrofon.
»Noch ein Wort zur kostenlosen Wasserversorgung: Ich möchte alle Bürger der Stadt darauf aufmerksam machen, dass es keinen Sinn hat, über Nacht vor den Toren der Baustelle zu warten. Wir öffnen morgen pünktlich um neun Uhr, und es gibt ausreichend Wasser für alle. Jeder hat Anrecht auf zwanzig Liter; es macht also auch keinen Sinn, mit Hundertliterfässern aufzuwarten. Im Übrigen sollten Sie daran denken, einen Nachweis mitzubringen, dass Sie in Kongoussi gemeldet sind. Danke, das war schon alles.«
Der Bürgermeister erhält deutlich weniger Applaus als die Präsidentin, was daran liegt, dass die meisten Anwesenden sich längst um die Kessel mit Dolo scharen, einem noch lauwarmen Hirsebier, das ganz frisch mit dem unterirdischen Wasser gebraut wurde. Das Wasser verleiht ihm einen leicht mineralischen Geschmack, doch das ist den Leuten egal - es tut so gut, endlich einmal wieder Dolo zu trinken! Fliegende Händler mit Krapfen, Salat, Hirsebrei, Grillhähnchen und Amuletten (»Glück! Erfolg! Profit! Liebe!«) tauchen auf, als wären sie im frischen Regen des Geysirs aus dem Boden gewachsen. Musiker lassen sich auf dem Podium nieder, das die Würdenträger inzwischen verlassen haben. Die jungen Leute wackeln schon mit den Hüften, während noch die Verstärker eingestellt werden. Das Fest ist in vollem Gang.
Im Schutz einer von Abou befehligten Leibgarde genehmigt sich Fatimata ein Bad in der Menge, drückt Hände, küsst Babys, erhält Geschenke, hört sich Beschwerden an und macht Versprechungen: Ja, Kongoussi wird wieder seine berühmten Gemüseplantagen bekommen; ja, selbstverständlich dürfe man die Pflanzungen bewässern, man müsse allerdings nach wie vor sparsam mit dem kostbaren Nass umgehen; ja, in Zukunft würde für mehrere Stunden am Tag Wasser aus dem heimischen Wasserhahn fließen; ja, das Wasser ist von guter Qualität, alle Analysen liegen vor, es müsse nur ein wenig entmineralisiert werden; ja, die Tanklastzüge der Regierung würden in Zukunft wieder alle Dörfer anfahren; nein, der See würde leider nicht wiederkommen - auf Fischerei werde man wohl verzichten müssen ...
Moussa, Laurie und Rudy schlendern derweil von Stand zu Stand, kosten Dolo, kauen auf einem alten, rachitischen, scharf gewürzten Grillhähnchen herum, probieren den etwas zu trocken geratenen Hirsebrei und lauschen der Musikgruppe, die wilde Rhythmen produziert und vor der sich bereits mehr als hundert Zuschauer warm tanzen.
»Heute Nacht werden bestimmt viele Babys gemacht«, sagt Moussa, der die lasziven Bewegungen der Mädchen und die erregten Hüftschwünge der jungen Männer beobachtet.
Sein Blick gleitet zu Laurie und Rudy. Die beiden da machen sicher keins, stellt er fest. Aber vielleicht ist die
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