Ödland - Thriller
funktioniert nach wie vor. Dutzende, wenn nicht gar Hunderte Menschen dürften auf ihr Maultier, Fahrrad, Motorrad oder in ihr Vehikel gestiegen sein, um einem Onkel, Cousin oder Stammesmitglied zu erklären, was vorgefallen ist, mit der Auflage, die Information wiederum an einen anderen Onkel, Cousin oder ein Stammesmitglied weiterzugeben, bis sie bei jemandem ankommt, der entweder ein Satellitentelefon besitzt oder in der Lage ist, die Nachricht außer Landes zu bringen. Es würde keine vierundzwanzig Stunden dauern, bis die Medien der Nachbarländer von dem Putsch erführen und Fatimata Wind von der Sache bekäme. Mit Sicherheit würde sie sich sofort auf den Beistandsvertrag mit Mali berufen. Abgesehen davon könnte auch die Elfenbeinküste von dem Machtvakuum in Burkina profitieren, um seine Truppen einmarschieren zu lassen, und - warum nicht? - möglicherweise versuchen, den Wasserfund von Kongoussi in seine Gewalt zu bringen.
Das alles macht General Kawongolo große Sorgen. Schon seit zwei Nächten hat er nicht mehr richtig geschlafen. Als er Nummer 1 auf seine Nöte ansprach, zuckte dieser nur die Schultern und sagte:
»General, wir haben Ihnen geholfen, an die Macht zu kommen. Wie Sie sie erhalten - das müssen Sie schon selbst wissen. Beißen Sie sich durch, denn es ist Ihr Problem. Allerdings dürfen Sie nicht vergessen, dass Sie sich vertraglich verpflichtet haben, uns die Erschließung des Wasservorkommens unter optimalen Sicherheitsbedingungen zu ermöglichen. Es gehört also zu Ihren Aufgaben, Ruhe und Ordnung im Land zu bewahren. Außerdem sollten Sie ebenfalls nicht außer Acht lassen, dass die Genesung Ihrer Frau vom Gelingen des Putsches abhängt...«
Die Genesung seiner Frau - auch die macht Victor Kummer. Als er sich auf den heiklen Plan der NSA einließ, versprach man ihm hoch und heilig, dass Saibatou in die Vereinigten Staaten ausgeflogen und operiert würde, sobald die Machtübernahme angelaufen wäre. Als Victor jedoch Nummer 1 an sein Versprechen erinnerte, schien es plötzlich nicht mehr wichtig zu sein.
»Wir werden sehen. Im Augenblick gibt es Wichtigeres zu tun. Außerdem haben wir kein Flugzeug zur Verfügung.«
Kein Flugzeug! Eine dämliche Ausrede! Fatimata ist schließlich auch von Bamako aus nach Nassau geflogen, das nur einen Katzensprung vor der amerikanischen Küste liegt. Saibatou hätte sogar mit ihr zusammen reisen können. Allmählich befürchtet Victor, dass man ihm etwas vorgemacht hat, um ihn einzulullen und sich seiner Beteiligung an diesem Putsch zu versichern. Sollten sie ihr Versprechen nicht halten, dann lasse ich sie an die Wand stellen und erschießen wie Spione - Ehrenwort!, wütet er innerlich. Immerhin ist er der Staatschef und Oberbefehlshaber der Armee.
Doch zunächst einmal muss er nicht nur schnell eine Regierung bilden, sondern auch die wichtigsten Institutionen des Landes wieder in Gang bringen. Allerdings hat er nicht die leiseste Vorstellung, wen er in die entsprechenden Positionen berufen soll. Nie hätte er gedacht, dass die gesamte Regierung in schöner Einigkeit zurücktreten würde, einschließlich Yéri Diendéré, Fatimatas Sekretärin, die über alles Bescheid weiß und ihm eine wertvolle Hilfe hätte sein können, zumal sie auch noch eng mit Saibatou befreundet ist. Diese Fatimata - sie hatte keine Mitarbeiter, sondern Getreue und Jünger! Aber auf wen kann Victor überhaupt noch zählen? Höchstens auf vier oder fünf Offiziere, die er auf seine Seite gezogen hat und denen viel an ihrer neuen Macht liegt, die jedoch nicht über die nötigen Kenntnisse verfügen. Für die Leitung eines Ministeriums - ob Finanzen, Transportwesen oder Außenpolitik - braucht man aber mehr als eine militärische Schmalspurausbildung. Doch selbst in diesem Fall könnte man mithilfe von Experten und guten Ratgebern etwas ausrichten; allerdings sind auch die Beamten dem Vorbild der Regierung gefolgt und heute Morgen nicht an ihren Arbeitsplätzen erschienen. Und dank der unterbrochenen Kommunikation sind sie natürlich auch nicht erreichbar. Victor Kawongolo hat das unangenehme Gefühl, über einen Geisterpalast zu regieren und eine Art Pseudomacht über ein Land auszuüben, das ihn für einen Verräter hält.
Während er seinen düsteren Gedanken nachhängt und verzweifelt versucht, die Funktionsweise von Fatimatas Computer zu begreifen - ein merkwürdiger Name, und das Passwort kennt er auch nicht! -, hört er plötzlich ein dumpfes Grollen am Morgenhimmel.
Weitere Kostenlose Bücher