Ödland - Thriller
Beunruhigt tritt er ans Fenster. Was ist das? Etwa ein Gewitter? Nicht um diese Jahreszeit. Die Kanone? Ein Ausfall der regulären Armee? (Er kann sich nicht dazu durchringen, sie als Rebellen zu bezeichnen, denn der Rebell, das ist er selbst .) Victor geht auf den Balkon hinaus. Der noch junge Morgen ist gelb und sandig vom Harmattan. Aus dem Grollen ist inzwischen ein pfeifendes Dröhnen geworden, das sich aus dem Himmel herunterschraubt. Und jetzt kann Victor es auch sehen: Es ist ein Flugzeug. Ein Flugzeug, das eine große Runde über der Stadt dreht und offensichtlich landen will. Victor kneift gegen den sandigen Wind die Augen zusammen und beobachtet die Maschine, die inzwischen ihr Fahrgestell ausgefahren hat. Ein ziviles Flugzeug, möglicherweise eine Boeing. Die Aufschrift auf den Seiten kann er aus dieser Entfernung nicht entziffern. Ist es vielleicht die Maschine, die Saibatou abholen soll? Hat Nummer 1 nun endlich doch sein Versprechen gehalten?
Der General widersteht der Versuchung, in aller Eile zum Flughafen zu laufen. Es ist eines Staatschefs unwürdig, sich nach Neuigkeiten zu erkundigen. Er muss warten, bis man sie ihm bringt. Zwar sind die Kommunikationsverbindungen im gesamten Land unterbrochen, allerdings existiert nach wie vor ein rotes Telefon, das es dem Präsidenten gestattet, Verbindung mit der Militärführung, bestimmten strategischen Zentren und dem Rest der Welt aufzunehmen. Victor fixiert es wie gebannt und wartet darauf, dass es zu läuten beginnt.
Lange muss er nicht warten.
Gleich beim ersten Ton nimmt er strahlend und hoffnungsvoll ab.
»Herr General? Hier ist Hauptmann Simporé, eingeteilt zur Wache am Flughafen.«
»Ja, Herr Hauptmann? Ich habe gerade ein Flugzeug landen sehen. Was ist denn da los?«
»Melde gehorsamst, Herr General - wir haben ein Problem.«
Kawongolos Lächeln erlischt.
»Was für ein Problem?«
»An Bord der Maschine befindet sich ein Individuum, das ein weiteres Individuum als Geisel genommen hat, dessen Name angeblich Anthony Fuller lauten soll...«
»Fuller? Haben Sie gerade Fuller gesagt?«
»Diesen Namen habe ich verstanden, Herr General. Der Geiselnehmer fordert Verhandlungen mit einem Verantwortlichen, und da dachte ich...«
»Ich bin schon unterwegs.«
Ratlos legt Kawongolo auf. Fuller als Geisel? Was soll denn das nun wieder heißen? Trotz der frühen Morgenstunde ruft er, ebenfalls über das rote Telefon, Nummer 1 an. Immerhin ist Fuller sein Problem!
Nummer 1 reagiert ebenfalls verblüfft.
»Was soll das heißen - als Geisel? Von wem? Wie viele sind es? Woher stammen sie? Wie sind sie bewaffnet?«
»Ich weiß es nicht, aber ich werde mich umgehend zum Flughafen begeben.«
»Gut, ich treffe Sie dann dort. Aber bitte exponieren Sie sich nicht, Herr General. Wir brauchen Sie noch.«
Kawongolo erreicht den Flughafen kurz vor Nummer 1. Von der Abflughalle aus beobachtet er das Flugzeug, das mitten auf der Landebahn steht. Resourcing prangt in großen, grünen Lettern quer über die Flanke, und vorne steht in kleineren Buchstaben: Boeing Business Jet 3-A. Es ist Fullers Privatmaschine. Die Luftpiraten haben Fullers Privatmaschine gekapert! Am vorderen Ausgang stehen zwei Männer dicht beieinander. Der General leiht sich das Zielfernrohr eines Soldaten aus - in der Abflughalle herrscht ein Betrieb wie in einem Ameisenhaufen! -, um die beiden besser zu erkennen. Das Gesicht des vorderen, der seinem Hintermann als Schutzschild dient, ist verletzt und geschwollen. Der Mann scheint sehr erschöpft zu sein und mustert seine Umgebung mit verstörten Blicken. Der andere Mann drückt dem Verletzten ein Messer an die Kehle. Er hat langes, schwarzes, glattes Haar und einen hängenden Schnurrbart ... Kawongolo erschrickt. Diesen Mann kennt er! Es ist Rudy - dieser Wikingertyp, der zusammen mit der Blonden das Bohrmaterial gebracht hat und sich seither immer in der Nähe der Präsidentin herumtreibt. Ist er nicht sogar mit ihr zusammen nach Nassau geflogen? Was will er hier? Ist Fatimata etwa bei ihm? Falls ja, warum zeigt sie sich dann nicht?
Der junge, etwas spröde Hauptmann Simporé tritt auf seinen Vorgesetzten zu.
»Hauptmann Simporé meldet sich zum Rapport.«
»Wie ist es möglich, Herr Hauptmann, dass dieses Flugzeug hier landen konnte? Sollte der Flughafen nicht geschlossen sein? Wer hat die Landeerlaubnis erteilt?«
»Ich selbst, Herr General. Ich musste davon ausgehen, dass das Leben der Geisel in Gefahr ist, und bin der Meinung, dass
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