Ödland - Thriller
Körper, die Gazellenaugen und die seidige schwarze Haut, die er zu berühren wagt. Sie lächelt über seine Komplimente, schiebt aber seine Hand sanft zurück. Beim zweiten Versuch macht ihr eisiger Blick Rudy klar, dass es keinen Sinn hat, es weiter zu versuchen.
Den Grund dafür versteht er, als sie bei Saibatou ankommen. Sie wohnt auf einem etwas abseits gelegenen Besitz. Unter hohen, noch lebenden Bäumen liegt ein großes, modernes Haus im traditionellen sudanesischen Stil. Rudy und Yéri werden von einer Bediensteten in einen großen, hellen Salon geführt, wo sie von einer stolzen, hochmütigen Frau von etwa dreißig Jahren erwartet werden, die einmal sehr schön gewesen sein muss, deren Gesicht jedoch von der Onchozerkose völlig entstellt ist. Graue Pusteln sind über ihre Haut verstreut, überall hat sie eitrige Wunden, und in ihren trüben, verschleierten Augen scheinen rote Äderchen geplatzt zu sein - doch das sind die Fadenwürmer, die sich in ihnen eingenistet haben. Trotzdem schmiegt sich Yéri eng an die junge Frau, küsst sie auf den Mund und schenkt ihr einen Blick, in dem weit mehr als nur Mitleid zu lesen ist. Saibatou ist zwar fast blind, bemerkt Rudys Überraschung aber sofort, obwohl sie nicht mehr von ihm erkennen kann als einen verschwommenen Fleck, der sich im Zimmer bewegt.
»Sie dürfen mich nicht missverstehen, Mr. Klaas«, erklärt sie. »Zwar sind Yéri und ich uns näher als zwei Schwestern, aber ich liebe meinen Ehemann von ganzem Herzen und werde ihn nie verlassen, auch wenn er sein Leben im Gefängnis verbringen muss.«
»Kein Problem, Madame Kawongolo. Es liegt mir fern, Sie in irgendeiner Weise zu verurteilen. Ich wollte Ihnen nur eine gute Nachricht überbringen, denn ich habe eine Klinik gefunden, die sich nicht nur bereit erklärt hat, Sie zu behandeln, sondern der es sogar eine Ehre ist.«
»Tatsächlich?« Saibatous Gesicht strahlt auf. »Wo denn?«
»In den Vereinigten Staaten. Wenn Sie wollen, bringe ich Sie hin.«
»Ob ich will? Mein Gott! Was für eine Frage! Ich werde endlich wieder leben!«
»Ist das nicht wundervoll, Liebling?«, hakt Yéri nach.
Die beiden Frauen fallen sich um den Hals. Saibatou hat Tränen in den Augen, was sehr schmerzhaft sein muss, denn sie tupft sie sofort ab. Rudy hat fast ein schlechtes Gewissen, dem Glück einen Dämpfer versetzen zu müssen.
»Ich muss Ihnen allerdings mitteilen, dass der Erfolg der Behandlung nicht garantiert werden kann. Soweit ich weiß, handelt es sich um eine noch im Experimentierstadium befindliche Gentherapie.«
»Egal. Auch wenn es nur eine winzige Heilungschance gibt, will ich es probieren. Ansonsten bleibt mir nichts, als hier im Dunkel langsam zu sterben, denn ohne meinen Mann und ohne meine Kunst hat mein Leben keinen Sinn.«
»Nun, du hast ja noch mich«, meldet sich Yéri.
»Schon, aber dich könnte ich auch nicht sehen. Wenn ich aber gesund werde ...«
Saibatou dreht sich mit ausgebreiteten Armen um die eigene Achse. Rudy begreift, dass sie ihm die vielen Bilder zeigen will, die an den Wänden des Wohnzimmers hängen. Es handelt sich um fast impressionistische, farbige Szenen aus dem Buschland und einige weibliche Akte, die alle von Yéri inspiriert sind. Bei näherer Betrachtung der Gemälde kann Rudy deutlich das Fortschreiten der Krankheit feststellen; der Strich wird von Mal zu Mal ungenauer, Farben fließen ineinander, und auch Irrtümer und Ungenauigkeiten treten in zunehmendem Maß auf. Das letzte Bild von Yéri, das ein Jahr alt ist, scheint von einem farbenblinden Kind hingekleckst worden zu sein.
»Sie betrachten meine Bilder, nicht wahr? Sie sehen, wie das Unglück seinen Lauf genommen hat. Meine letzten Werke sind noch im Atelier. Ich zeige sie niemandem, weil ich mich ihrer schäme.«
»Warum? Es ist doch nicht Ihre Schuld.«
»Natürlich nicht. Aber stellen Sie sich einen Musiker vor, dessen Finger steif vom Rheuma sind, oder einen Schriftsteller, der Alzheimer hat. Sie hören oder lesen ihre besten Werke, auf die die Künstler wirklich stolz sein dürfen, vergleichen sie mit dem armseligen Mist, den sie jetzt noch hervorbringen ... und müssen weinen. Ich habe nicht einmal mehr die Chance, meine früheren Werke zu sehen.«
»Sie werden wieder gesund, Madame. Davon bin ich fest überzeugt. Sobald der Harmattan sich beruhigt hat, brechen wir auf. Halten Sie sich bereit.«
Nun muss Rudy nur noch Fullers Piloten finden. Nach der Niederschlagung des Putsches hat sich niemand
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