Ödland - Thriller
zielt und schießt. Der Mann lässt die Waffe fallen und taumelt gegen den Baumstamm. Nummer zwei! Rudys Schuss allerdings hat den anderen gezeigt, wo er sich versteckt. Der folgende Kugelhagel ist deutlich präziser. Kriechend zieht Rudy sich ins Unterholz zurück - und landet an einem Zaun. Scheiße! Darüberklettern? Nein, viel zu hoch und dreifach mit Stacheldraht gesichert. Die Gräser rechts und links rascheln. Nun sitzt Rudy wirklich in der Klemme: hinter ihm der Zaun, vor ihm die leere Straße und auf beiden Seiten mindestens ein bewaffneter Kerl. Auf einen Baum klettern? Man würde ihn sofort entdecken, während die dichten, niedrigen Büsche ihn im Augenblick wenigstens noch verbergen.
Als er aufsieht, bemerkt Rudy, dass das Tageslicht erheblich nachgelassen hat und der eben noch gelbliche Himmel pechschwarz geworden ist. Wind ist aufgekommen, zerrt an Laub und Büschen und wird von Sekunde zu Sekunde stärker. Und jetzt nimmt Rudy auch den Lärm wahr, auf den er bisher nicht geachtet hat, weil er sich einzig für das Vordringen seiner Gegner interessierte. Es hört sich an wie ein Mittelding zwischen dem Rollen eines schweren Güterzugs und dem pfeifenden Dröhnen von Flugzeugreaktoren und ist so laut, dass es sogar den schnell herannahenden Donner übertönt. In rasender Geschwindigkeit kommt es näher.
Neben Rudy raschelt das Laub erneut, dann rennt jemand auf der Straße davon. Die Angreifer fliehen, ohne sich Zeit zu nehmen, in Deckung zu gehen. Rudy reißt die Pistole hoch, schießt dann aber doch nicht. Die Windböen zerren ihn fast von den Beinen, und das Getöse hinter ihm schwillt furchterregend an. Es brüllt und dröhnt, die Erde zittert, Dinge fliegen durch die Luft, die Bäume biegen sich bis zum Boden. In dem Tohuwabohu kann Rudy das trockene Knallen brechenden Holzes unterscheiden, stürzende Steine, metallisches Kreischen, Reißgeräusche ... Der Tornado! Er kommt! Er kommt mit einer Wahnsinnsgeschwindigkeit direkt auf ihn zu.
Immer noch liegt Rudy flach auf dem Boden zwischen den Büschen. Um ihn herum gibt es Bäume, Häuser, Autos und alle möglichen anderen Dinge, die eine Windhose wegreißen und auf ihn niederfallen lassen kann. Was soll er tun? Wo kann er sich in Sicherheit bringen? Zu spät, Rudy, es ist zu spät! Du kannst nichts anderes tun, als dich flach auf den Boden zu pressen, einzugraben, festzuklammern und zu beten, dass der Wirbel dich verschont.
Und das tut Rudy. Er vergräbt sich, so gut es eben geht, in einem Zierpflanzenbeet und klammert sich mit aller Kraft an Wurzeln, die ihm einigermaßen solide erscheinen. Solide? Ein Tornado kann einen Lastwagen hochheben und ganze Dächer mit sich in die Höhe reißen ... Und nun ist er da.
Im Handumdrehen verwandelt sich die Welt in ein Urchaos. Der Druck ist so gewaltig, dass Rudy das Blut aus Nase und Ohren schießt. Er presst sich in die Erde und versucht vergeblich zu atmen. Der Tumult ist unbeschreiblich, das Getöse kaum noch erträglich. Rudy schließt die Augen. Er will nichts sehen. Der Boden unter ihm bebt, Erde wirbelt auf. Trümmerstücke prasseln nieder, rings um ihn kracht und knattert es. Der Busch, an den er sich klammert, wird aus dem Boden gerissen. Ein großes Stück reißt ab und fliegt davon.
Auch Rudy selbst glaubt zu fliegen. Immer noch krallt er sich mit zusammengebissenen Zähnen, tauben Ohren, komprimierter Lunge und halb erstickt an das knorrige Holz. Er dreht sich inmitten eines gigantischen Chaos aus Erde, Zweigen und Blättern und weiß nicht, wo er sich befindet - noch am Boden oder schon hoch im Himmel? Schepperndes Metall kracht unmittelbar neben ihm zu Boden, ein ohrenbetäubender Knall setzt sein Echo bis in die Ferne fort. Ein Blitz von dantesken Ausmaßen blendet ihn trotz geschlossener Augenlider; es riecht stark nach Ozon ...
Allmählich erschöpfen sich die entfesselten Elemente. Der unerträgliche Lärm lässt nach und wird zum Donnergrollen eines fast normalen Gewitters. Tausende von Trümmerstücken prasseln um Rudy herum auf den Boden. Das ohrenbetäubend jaulende Dröhnen entfernt sich samt seiner Zerstörungswut, der Wind schwächt sich so weit ab, dass er wieder atmen kann. Rudy holt tief Luft und wagt es, die Augen zu öffnen und den Kopf zu heben. Die ersten Regentropfen platschen dick, fett und schwarz auf sein erdiges Gesicht. Nur mit Mühe kommt er wieder auf die zitternden Beine ...
Die Umgebung ist nicht wiederzuerkennen. Im von Blitzen durchzuckten und vom Donner
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