Ödland - Thriller
gestehen, dass dieses Essen von unreinen Händen zubereitet wurde? Nein, keinesfalls! Sie würden sofort in ihr die Verräterin sehen, einen neuen, weiblichen Judas! Ihre Verwirrung wird für Schüchternheit gehalten, und glücklicherweise wirft Callaghan ihr keinen seiner schrecklich durchdringenden Blicke zu. Er ist dabei, sich mit seinen engsten Vertrauten viel trivialeren Problemen zu widmen - nämlich Pamelas Erbe auseinanderzudividieren. Sie rechnen durch, wie viel Prozent von Fullers Vermögen man ihr zugestehen kann, überlegen, wie man die Besitzurkunden am besten auf die Göttliche Legion überschreibt und wie Pamelas Status und Vorrechte bei Resourcing dabei ins Gewicht fallen, denken darüber nach, wie die unterschiedlichen Tochtergesellschaften zusammenhängen, versuchen herauszufinden, wen man schmieren oder bedrohen muss und wie man Druck auf den Verwaltungsrat ausüben kann, damit er die Treuhänderschaft von Capital Investments akzeptiert. Auch der Jahresumsatz und die Möglichkeit einer Übernahme werden besprochen. Bei alledem wird Pamela weder zu Rate gezogen noch zu ihrer Ansicht befragt: Ihre Rolle beschränkt sich darauf, den Geheiligten Geist zu füttern ...
Der jedoch weigert sich zu essen und wird von Minute zu Minute unruhiger. Er stöhnt, stößt unzusammenhängende Laute aus, presst die Lippen zusammen und verschmäht die Nahrung, die Pamela ihm reicht. Es gelingt ihm sogar, sich keuchend vor Anstrengung aufzubäumen. Plötzlich stößt er einen so durchdringenden Schrei aus, dass alle aufmerksam werden.
»O Herr ... Liebling, was ist mit dir? Bist du krank?«
Noch nie hat Pamela Tony so erlebt. Er schwitzt, und sein sonst so unbewegliches Gesicht zuckt krampfhaft. Er sabbert, murmelt Unverständliches und heult auf vor Schmerz - vielleicht auch vor Angst, denn seine blutunterlaufenen Augen sind voller Entsetzen aufgerissen. Mit einer hektischen, unkontrollierten Geste wischt er den Teller von seinem Rollstuhltablett. Platte samt Inhalt scheppern auf den Boden. Er biegt und windet sich so sehr, dass man den Eindruck hat, er mache Anstalten aufzustehen.
»Ist es möglich, dass der Geheiligte Geist seiner fleischlichen Hülle zu entrinnen versucht?«, überlegt einer der Apostel.
»Bekämpft er vielleicht eine Anfechtung Satans?«, schlägt ein anderer vor.
»Oder werden wir Zeuge eines Wunders? Vielleicht steht er gleich auf und spricht zu uns«, sagt ein Dritter.
»Vielleicht kämpft er, um sein Übel auszumerzen«, fügt der Erste hinzu. »Er könnte seine Heilkunst bei sich selbst anwenden.«
Alle Blicke richten sich auf den Reverend, um ihn nach seiner Ansicht zu fragen - der einzigen, die wirklich zählt. Doch Callaghan äußert sich nicht. Er sitzt hoch aufgerichtet am Ende der Tafel und beobachtet Tony, der sich am anderen Ende in Krämpfen und Schmerzen windet.
»Hat er seine Medikamente genommen?«, erkundigt sich Nelson bei Pamela. »Vielleicht hat er einen Anfall.«
Sie schüttelt ratlos den Kopf.
»Er weigert sich, etwas einzunehmen. Ich rufe lieber Doktor Kevorkian an.«
»Salome, du mischst dich da nicht ein!«, poltert Callaghan.
Er steht so hastig auf, dass sein Stuhl umfällt, geht mit großen Schritten um den Tisch herum zu Tony und nimmt sein kleines, von Angst und Schmerz verzerrtes Gesicht in seine großen Hände.
»Auferstandener, Geheiligter Geist, Sohn Gottes, sieh mich an und sage mir, ob es die Dämonen sind, die dich angreifen. Sind es die Gesandten dieses Gegners, von dem du eben zu mir gesprochen hast? Antworte, ich beschwöre dich!«
Er zwingt Tonys Kopf in seine Richtung. Man hört die Nackenwirbel knacken. Pamela will zu ihrem Sohn, doch Nelson hält sie fest und drückt sie eng an sich. Von Callaghans Händen wie von einer Schraubzwinge festgehalten, wendet Junior ihm seine unruhigen, tränenden Augen zu, in denen Moses mit seinem durchdringenden Blick liest. Beide verharren einen angespannten Moment lang auf diese Weise. Die Anwesenden sind wie elektrisiert. Plötzlich lässt Callaghan Tony los und hebt die Arme zum Himmel.
»Aaah! Ich wusste es! Vade retro, Satanas!« Er stürzt sich wieder auf Tony und schwenkt das große, goldene, mit Diamanten besetzte Kruzifix vor seiner Nase. »Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Dämon, ich befehle dir, dieses Kind zu verlassen. Kehre zurück in die Abgründe deiner Hölle. Herr, geheiligt werde dein Name, erlöse uns von dem Übel und der Versuchung. Hinaus mit euch, ihr Hunde,
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