Ödland - Thriller
sollen die Leute bloß von uns denken? Und erst George. Der arme George.«
»Wer ist denn George?«
»George Parrish, unser Pfarrer. Wenn du ein wenig häufiger zum Gottesdienst gingest, würdest du ihn kennen...«
»Pamela, es reicht«, schneidet ihr Anthony das Wort ab. »Du hast deine Überzeugungen, ich habe meine. Darüber haben wir schon tausendmal diskutiert und müssen es nicht schon wieder durchhecheln. Außerdem störst du - ich bin gerade dabei, meine Nachrichten abzurufen.«
Das entspricht zwar nicht der Wahrheit, doch Anthony hat herausgefunden, dass es sich hervorragend als Ausrede eignet, um einem Streit mit Pamela aus dem Weg zu gehen. Da geschäftliche Dinge in ihrem Eheleben grundsätzlich unbedingten Vorrang haben, zieht Anthonys Frau sich in solchen Fällen meist zurück - zwar schmollend, aber ohne weitere Fragen.
Anthony wirft einen bedeutungsvollen Blick auf den Minicomputer am Handgelenk - es ist die neueste Technik von Nokia, made in China, und sowohl leistungsfähiger als auch schneller als die vergoldete Texas Instruments seines Vaters - und überfliegt die zahlreichen Mitteilungen, die er während der Zeremonie erhalten hat. Wie vorhergesehen, zieht Pamela sich schmollend zurück.
Allerdings hat Fuller nicht die Absicht, sich sofort wieder seinen Geschäften zu widmen. Vorerst möchte er die für Mitte Oktober recht angenehme Temperatur von 28°C genießen. Doch eine rot gekennzeichnete Nachricht höchster Priorität macht ihn neugierig. Die Message stammt von GeoWatch.
GeoWatch? Was mag da los sein? Ist etwa ein Satellit verloren gegangen?
Fuller klickt die Nachricht an, decodiert sie und liest mit, während sie über den winzigen Bildschirm flimmert:
Fremdzugriff auf Sat Mole-Eye 2AC
Bericht Enigma im Anhang
Erwarten Anweisung.
Ein Don Juan der Ministerien
In jener Zeit wird sich die Welt verwandeln [...]
Hohe Uferböschungen stürzen ein
Wie Mauern aus Kalkstein
Bei einem Tornado.
Das Wasser der Flüsse versickert,
Wälder werden zu Wüsten,
Von großen Städten bleiben nur Ruinenfelder.
Dort, wo klares Wasser plätscherte,
Gibt es nichts mehr als Sandbänke.
Aus dem Njeddo Dewal, einer Initiationserzählung des Volks
der Fulbe, übertragen von Amadou Hampaté Bâ
(Nouvelles Editions Ivoriennes, 1993)
»Tut mir wirklich leid, Monsieur Coulibaly, aber die Präsidentin ist sehr beschäftigt. Sie kann Sie im Augenblick nicht empfangen.«
»Was soll das heißen - sie kann nicht? Ich habe einen Termin!«
Yéri Diendéré, die junge, hübsche und sehr kompetente Sekretärin der Präsidentin, schürzt entschuldigend die Lippen und zuckt die von ihrem Boubou unbedeckten Schultern. Dabei erbeben ihre Brüste unter dem gemusterten Stoff, was den scharfen Augen des Premierministers durchaus nicht entgeht.
»Sämtliche Termine sind abgesagt worden. Es geht um eine äußerst wichtige Angelegenheit.«
»Was für eine wichtige Angelegenheit? Meine Angelegenheit ist wichtig!«
Issa Coulibaly hebt ostentativ einen umfänglichen Attaché-Koffer über seinen Wanst. Der Premierminister ist fett, verschwitzt, kleidet sich wie ein Mafioso in einem billigen Film und hält sich für unwiderstehlich. Yéri kann ihn nicht leiden. Wieder zuckt sie die Schultern, fängt Coulibalys Blick auf und zieht ihren Boubou zurecht.
»Die Präsidentin hat keine genaueren Angaben gemacht. Sie erzählt mir durchaus nicht alles.«
Mit diesen Worten heftet sie den Blick wieder auf den Computerbildschirm und gibt dem Premierminister so zu verstehen, dass sie die Unterhaltung als beendet betrachtet. Doch so schnell gibt Coulibaly nicht auf.
»Wird diese wichtige Angelegenheit lange dauern?«
»Jedenfalls hat sie alle Termine abgesagt«, erwidert Yéri lakonisch.
»In diesem Fall könnten wir beide doch irgendwo etwas trinken gehen«, schmeichelt Issa mit seinem schmierigsten Lächeln. »Nur wir zwei. Wir warten einfach gemeinsam darauf, dass sie fertig wird.«
»Ich habe zu arbeiten«, erwidert die Sekretärin in einem Ton, der so trocken ist wie der Wüstenwind Harmattan.
»So schlimm wird es schon nicht sein! Als ich hereinkam, warst du gerade dabei, dir die Nägel zu lackieren.«
»Mein derzeitiger Auftrag besteht darin, unerwünschte Besucher abzuweisen.«
»O je! Bist du heute etwa mit dem linken Bein zuerst aufgestanden? Oder hast du Kummer?« Im Bemühen um ungezwungene Lässigkeit legt Issa Coulibaly einen seiner elefantösen Schenkel auf eine Schreibtischecke. »Du darfst dich Onkel
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