Ödland - Thriller
damaligen Zeit gehörte es in reichen Familien einfach zum guten Ton, mindestens ein geklontes Kind zu haben. Dahinter stand das hehre Ziel, den Stammbaum künftiger Weltbeherrscher zu veredeln und zu verbessern. Hinzu kam, dass Pamela nach der sehr schwierigen Geburt von Wilbur unfruchtbar wurde, trotzdem aber um jeden Preis ein zweites Kind haben wollte. Erst später erfuhr Anthony, dass Pamela damals von ihren Eltern manipuliert worden war, denn ihr Vater besaß ein hübsches Portfolio von BioGen-Aktien. Sie folgten also der herrschenden Mode, und als bei Tony Junior die ersten Degenerationserscheinungen erkennbar wurden, verbrachten sie - vor allem natürlich Pamela - die meiste Zeit damit, das Kind zu pflegen. Dabei vernachlässigten sie Wilburs Erziehung, der sich in der Folge zum Faulenzer und Nichtsnutz entwickelte - ein computersüchtiger Drogenabhängiger, der schließlich von Outers abgeschlachtet wurde. Anthony, der felsenfest daran geglaubt hatte, Vater zweier zukünftiger Mitgesellschafter und späterer Erben des riesigen Firmenimperiums zu sein, zu dem Resourcing ww inzwischen geworden ist, steht mit leeren Händen da. Einer seiner Söhne ist tot, der andere gelähmt und zu keiner selbstständigen Handlung fähig - ganz zu schweigen von der Ehefrau, die abgestumpft von Prozac4 immer weiter in die Bigotterie abdriftet.
Wieder lässt Anthony insgeheim den Blick durch die Runde schweifen, doch die Lachlust ist ihm vergangen. Jetzt ist ihm eher nach Heulen zumute, weniger um Wilbur als vielmehr um sein eigenes Schicksal und die Trostlosigkeit seiner Familie. Die leichte Depression hat vermutlich mit dem Nachlassen der Wirkung des Dexomyl zu tun. Nein, es ist ganz sicher nicht Fullers Art, sich zu beklagen und in Selbstmitleid zu verfallen. Er stellt sich jeder Situation - aufrecht, mit hoch erhobenem Kopf, klarem Blick und zusammengebissenen Zähnen, denn sein erklärtes Ziel ist es, zu gewinnen. Diese Haltung hat er von seinem Vater gelernt, dem imposanten Richard Fuller III. »Du stammst von den Jayhawkers ab, mein Sohn, und die Jayhawkers haben Amerika und damit die freie Welt aufgebaut. Vergiss das nie!«, pflegte er zu sagen. Und wenn der kleine Anthony dann murrte oder gar zu weinen anfing, bekam er einen Tritt in den Hintern, der sich gewaschen hatte. Vielleicht hätte Anthony die gleiche Methode bei Wilbur anwenden sollen, anstatt ein Vermögen für den Unterhalt dieses Parasiten auszugeben.
Ein kurzer Blick aus dem Augenwinkel zeigt, dass Junior ihn noch immer fixiert. Mein Gott, warum muss man ihn denn ausgerechnet so platzieren, dass ich ihn sehe? Könnte nicht wenigstens jemand seinen Rollstuhl umdrehen?
Plötzlich stehen alle auf und beginnen, ein Requiem zu singen. Überrascht folgt Fuller ihrem Beispiel und versucht, es ihnen gleichzutun. Er brummt irgendetwas, weil er ohnehin weder Text noch Melodie kennt. In religiösen Dingen ist er nie unterwiesen worden, weil für Richard Fuller III. der einzige Gott, den zu ehren sich lohnte, der Dollar war. Pamela bemerkt es natürlich sofort und weist ihn, ohne mit dem Singen aufzuhören, mit strengem Blick auf das auf der Bank liegende Gesangbuch hin. Fuller greift danach, weiß jedoch nicht, auf welcher Seite er suchen soll, und blättert fieberhaft. Das Buch entgleitet seinen Händen und fällt vernehmlich auf die Fliesen. Jetzt ist es der Pfarrer, der Fuller mit strengem Blick mustert. Fuller explodiert.
»Verdammt, ich habe wirklich keinen Bock mehr! Lasst uns endlich mit dem blöden Getue aufhören!«
Die Trauergemeinde erstarrt. In der eintretenden Stille ist nur Tony Junior zu hören, der eine Reihe kurzer, durchdringender Schreie ausstößt. Es hört sich an wie das Lachen einer Hyäne.
Reliquie
State of Kansas - Douglas County
Welcome to Eudora
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Special rates on week-ends!
Getyour member card
Refugees not admitted
Endlich ist die Zeremonie beendet. Fuller und seine Frau nehmen die Beileidsbekundungen entgegen und verabschieden sich. Die Trauergemeinde steht in der großen Empfangshalle des Krematoriums von Eudora. Ein Stück abseits wartet eine andere Familie, die als nächste an der Reihe ist. Pamela, die während der Einäscherung ununterbrochen geschluchzt hat, umklammert die Urne mit Wilburs Asche, die der Pfarrer ihr in die Hand gedrückt hat, als wäre sie eine Reliquie von Jesus Christus persönlich. Fuller ist ausgesprochen enttäuscht
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