Ödland - Thriller
Burkina Faso
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Wo sind die glücklichen Tage geblieben?
Die Toten sind nicht tot ...
Die Toten ruhen nicht in der Erde,
Sie sind im bebenden Baum,
Sie sind im plätschernden Wasser,
Sie sind im stillen See,
Sie sind im heimischen Vorratskasten,
Sie sind in der Menschenmenge dort draußen.
Die Toten sind nicht tot.
Birago Diop
Mit dem Einkaufskorb unter dem Arm durchstreift Alimatou Zebango ein wenig verwirrt die Gänge zwischen den zu drei Vierteln leeren Ständen auf dem Markt von Kongoussi. Die unbenutzten Stände sind mit rötlichem Staub bedeckt. Ein verlassener Markt - welch trauriges und merkwürdiges Schauspiel! Die unter der unbarmherzigen Sonne wie zermalmt wirkenden Hütten stehen längst nicht mehr im Schatten der Nérés. Aus den ehemals grünen Bäumen sind astlose Stümpfe geworden, auf denen lauernd die allgegenwärtigen Geier sitzen. An den wenigen noch geöffneten Ständen findet man verkümmerte, runzelige Ware, die kaum mehr an Gemüse erinnert, etwas Hirse, Sorghum, ein paar nib-Bohnen, Kolanüsse und einige dürre, halb tote Hühner. Und dabei handelt es sich um den großen Sonntagsmarkt von Kongoussi, der eigentlich alle Viehzüchter, Landwirte, Handwerker und Bauern der Provinz anziehen sollte. Als Ehefrau des Bürgermeisters und aus Bam gebürtig, einem Dorf, das unmittelbar an den verschwundenen See grenzte, misst Alimatou den Verfall der einheimischen Wirtschaftskraft mit den Augen der Erinnerung an ihre Kindheit. Damals quollen die Auslagen über mit Tomaten, Zwiebeln, Auberginen, Okra und grünen Bohnen, die alle dank ständiger Bewässerung gediehen, und die Fischer verkauften Welse, Waller und Tilapia aus dem See. Hier war früher der Gang der Gewürzhändler; die starken Düfte ihrer Auslagen brachten Alimatou als Kind immer zum Niesen. Dort drüben saßen die animistischen Zauberer, die wackmen, beisammen; bei ihnen fand man seltsame Reliquien und Furcht einflößende Masken. Viehzüchter vom Volk der Fulbe brachten ihre nervösen, buckligen Kühe zum Schlachter, und halbwüchsige Jungen verkauften gekühlte Getränke direkt von ihren Dreirädern. Am Ende jenes Ganges dort war der Stand von Maurice, wo es allerlei bunten Krimskrams aus China zu kaufen gab, und immer hatte Maurice ein kleines Geschenk für das Mädchen Alimatou bereit ... Wo sind nur die glücklichen Tage geblieben? Welche Pestilenz hat die Einwohner des Landes derart abstumpfen lassen? Wo ist ihre Lebensfreude geblieben? Warum sind die Menschen zu gespenstischen Erscheinungen verkommen, die ziellos durch die Straßen irren? Natürlich weiß Alimatou sehr genau, was passiert ist. Ihr Mann hat immer wieder mit ihr die Themen Globalisierung, Ausbeutung des Nordens, Neokolonialismus und den »ultraliberalen Teufelskreis« erörtert. Und natürlich wurde auch über den Klimawandel gesprochen, den die westlichen Industrienationen zwar hervorgerufen, jedoch nur sehr halbherzig bekämpft haben. Aber warum? Warum diese Ungerechtigkeit? Was haben wir getan, um das zu verdienen?
Endlich findet Alimatou das, wonach sie gesucht hat: Baobabblätter für die Soße zum Hirsebrei. Zwar sind sie staubig und verdorrt, doch damit müsste es gehen. Die Verkäuferin ist eine alte Frau, vertrocknet und faltig wie ein Baumstumpf, und ihre schmutzigen, mit Schrunden bedeckten Füße zeugen von den vielen Kilometern, die sie zum Markt hat zurücklegen müssen. Ihr Fund gibt Alimatou ein wenig Hoffnung zurück. Fatou wird uns schon da rausholen. Immerhin ist ihre Mutter Rade eine große Seherin und hat vorhergesagt, dass die Baobabs von Kongoussi eines Tages wieder grün werden. Ein gutes Zeichen!
Als Alimatou ihre Geldbörse aus dem üppigen Busen zieht, zupft jemand sie am Ärmel. Ein fürchterlicher Gestank breitet sich aus. Angeekelt dreht sie sich um. Vor ihr steht eine völlig ausgemergelte Frau mit vorzeitig ergrautem Haar. Ihr aufgedunsener Bauch wölbt sich unter formlosen, verdreckten Lumpen. Eiter sickert zwischen ihren dürren Beinen hervor. Ihr zerfurchtes, staubiges Gesicht wird von ihren verklebten, von Fliegen heimgesuchten und kurz vor dem Wahnsinn stehenden Augen beherrscht. Auch auf den aufgesprungenen, entzündeten Lippen sitzen Fliegen.
»Haben Sie Mitleid ... nur einen Tropfen Wasser ... Wasser ...«, stammelt die Frau.
»Fatou!«, ruft die alte Verkäuferin und macht eine Bewegung, als wolle sie Fliegen verscheuchen. »Du hast hier
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