Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ödland - Thriller

Ödland - Thriller

Titel: Ödland - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
Vom Netzwerk:
überreichte und ihn zu seinem Mut und seinem Pflichtbewusstsein »im Dienst der Nation« beglückwünschte. Anschließend musste er die Fahne grüßen - und zwar die deutsche, nicht etwa die europäische! -, ehe man ihn ins Lazarett brachte, wo seine Verletzungen behandelt wurden. In seiner Eigenschaft als »Kriegsgefangener« wurde er dann zur Zwangsarbeit verurteilt, was bedeutete, dass er sich einen Tag lang den Scheißhäusern, dem Spüldienst, der Küche, der Gartenarbeit und dem Unterhalt des Lagers im Allgemeinen zu widmen hatte.
    Tag für Tag findet sich zumindest eine Gelegenheit, einen Kursteilnehmer zur Zwangsarbeit zu verurteilen, was dazu führt, dass das Camp kostenlos von ergebenem Personal in Ordnung gehalten wird, das vielleicht sogar ganz froh ist, dem harten Training eine gewisse Zeit zu entkommen. Bei Rudy zumindest ist das der Fall. Während er fegt, wäscht, schrubbt und scheuert, nutzt er den relativ ruhigen Tag - die beiden Einheiten sind zu einer Strafexpedition gegen die Wilden aufgebrochen -, um über den Wirbel aus Angst, Hass und Gewalt nachzudenken, in den seine Seele sich verwandelt hat. Seit seiner Ankunft hier ist Nachdenken so gut wie unmöglich geworden; die Kursteilnehmer werden ununterbrochen durch Manöver, Exerzieren, Ernstfallübungen, Kurse, Wettbewerbe, Reden, ihre Kameraden, ihre Obersten und Vorgesetzten und so weiter und so fort in Trab gehalten, damit sie nur ja nicht auf die Idee kommen, auf eigene Faust zu denken und möglicherweise zu realisieren, wo sie gelandet sind. Einige Kursteilnehmer - zu ihnen zählt auch Rudy - lassen sich normalerweise so schnell nichts vormachen, doch nach zehn Tagen ist jede Anwandlung, ein kritisches Wort zu wagen oder sogar aufzubegehren, mit Gewalt gebrochen worden. Abends im Schlafsaal sind die Männer körperlich und seelisch zu erschöpft, um tiefer gehende Kommentare als etwa »Mist«, »Scheiße« oder »Nase voll« abzugeben. Rudy muss feststellen, dass er dabei ist, genau wie die anderen zu werden - seine Waffe fasziniert ihn über Gebühr, er lässt sich durch Gewalt erregen, grölt sinnloses Zeug - kurz, er heult mit den Wölfen. Wo ist nur der sanfte Rudy von früher geblieben, der seine Tulpen streichelte, mit jungen Kräuterpflänzchen sprach und Spinnen vorsichtig ins Freie beförderte? Wo ist er geblieben, der zärtliche Liebhaber von Aneke, der fröhliche Vater von Kristin? Und wo sind die beiden großen Lieben seines Lebens geblieben, an die er während der vergangenen zehn Tage nicht einmal mehr gedacht hat? Würden sie ihn überhaupt wiedererkennen, wenn er mit Blut besudelt wie ein wildes Tier mit einem triefenden Dolch in der Hand auf ein vom Thrill ruiniertes menschliches Wrack einsticht? Würde es ihnen etwa gefallen, ihn in einer Kakiuniform, das Gewehr auf der Hüfte, im finstersten Arschloch Europas Jagd auf Wilde machen zu sehen? Ach, Aneke, so nennt man diese Leute hier tatsächlich: die Wilden!
    Was ist bloß aus dir geworden, Rudy? Wie konntest du so tief sinken? Du hast einen Menschen getötet! Okay, du musstest dich verteidigen, aber gib zu, dass es dir Spaß gemacht hat, ihn zu vernichten.
    Ja, ja, er gibt es zu. Er hat sich einen Augenblick lang vergessen; er war nicht mehr er selbst. Und doch empfand er es als einen Augenblick der höchsten Lust, fast als eine Art Orgasmus. Entsetzlich! Und entsetzlich beschämend! Wie sollte er aus dieser Hölle nur wieder herauskommen?
    In Gedanken verloren hat Rudy völlig mechanisch den Fabrikhof gefegt und ist vor dem Verwaltungsgebäude angekommen. Durch die getönte Glasscheibe hindurch erkennt er die Empfangsdame, die sich über ihren Computer beugt. Plötzlich kommt ihm eine Idee.
    Während der Dauer des Lehrgangs hat kein Teilnehmer das Recht, das Gebäude ohne Erlaubnis zu betreten. Aber erstens ist niemand da, zweitens würde er höchstens fünf Minuten brauchen, und drittens scheint das Mädchen - eine hübsche, etwas gewöhnliche Blondine - ganz nett zu sein.
    »Hey, Sie, das ist verboten!«, schreit sie mit schriller Stimme, als er die Tür aufstößt.
    »Ich weiß«, antwortet er in zuvorkommendem Tonfall und bleibt höflich gleich am Eingang stehen. »Ich ... ich möchte Sie lediglich um einen winzig kleinen Gefallen bitten. Aber wenn Sie mir nicht helfen wollen, ist es auch nicht schlimm, dann gehe ich eben wieder.«
    Die Empfangsdame taxiert ihn streng von Kopf bis Fuß, entspannt sich jedoch schnell und gestattet sich sogar ein Lächeln: »Hat man

Weitere Kostenlose Bücher