Ödland - Thriller
eine telefonische Überweisung tätigen, habe aber meine Bankkarte vergessen und weiß meine Kontonummer nicht auswendig. Wären Sie eventuell bereit, die Überweisung für mich vorzunehmen, wenn ich Ihnen den Betrag sofort in bar auszahle?«
Der Kellner runzelt misstrauisch die Augenbrauen.
»Ich weiß nicht recht ... Können Sie wenigstens Ihre Mahlzeit bezahlen?«
Diskret zeigt Rudy ihm das Banknotenbündel, zieht einen 50-Euro-Schein heraus und reicht ihn dem Ober.
»Die Überweisung beläuft sich auf dreißig Euro. Der Rest ist für Sie.«
Die Augen des Kellners beginnen zu glänzen, aber er ziert sich nach wie vor.
»Ich hoffe, es handelt sich um nichts Illegales oder Unmoralisches.«
»Es geht um ein Stellenangebot. Bitte.« Rudy reicht dem Ober das Telefon. »Ich nehme an, Sie wissen, wie es funktioniert.«
Der Kellner steckt hastig den Geldschein in die Tasche, ehe er Schritt für Schritt den Anweisungen aus dem Hörer folgt. Anschließend gibt er Rudy das Telefon zurück.
»Bitte sehr - alles erledigt.« Er wird wieder servil. »Wünscht der Herr, dass wir das Gericht noch einmal aufwärmen?«
»O bitte, sehr gern«, antwortet Rudy, während er über das Telefon gebeugt alle nötigen Informationen herunterlädt.
Arbeitgeber ist die Hilfsorganisation Save OurSelves, das Treffen findet am Hauptsitz der Organisation in Straßburg, Avenue de l'Europe statt, Tag und Uhrzeit sollen direkt mit dem Arbeitgeber vereinbart werden, dessen Kontaktdaten folgen. Rudy ruft an. Eine junge Frau meldet sich, stellt ein paar Fragen und bittet ihn, so schnell wie möglich nach Straßburg zu kommen. Der Job sei ihm sicher, erklärt sie, denn außer ihm habe sich niemand gemeldet.
Als Rudy das Gespräch beendet, ist die Heiterkeit des Morgens zurückgekehrt. Na bitte - es gibt etwas zu tun und einen Ort, an den er gehen kann. Mit Genuss verspeist er das aufgewärmte Tournedo und denkt daran, dass es vielleicht das letzte seines Lebens ist. Denn sein Leben hat sich soeben grundlegend verändert. Er ahnt es. Er spürt es.
Gute Vorzeichen
Die Stadt Straßburg gibt Folgendes bekannt:
Nach den Ausschreitungen in der Nacht vom 16. auf den 17. November und den Angriffen auf das Europäische Parlament wird die Ausgangssperre mit sofortiger Wirkung und auf unbestimmte Dauer von 22 Uhr auf 20 Uhr vorverlegt. Personen, die sich aus beruflichen Gründen während der Nacht im Freien aufhalten müssen, können bei allen Polizeidienststellen einen Passierschein beantragen.
Lauries Zug kommt mit zweistündiger Verspätung in Straßburg an. Da sie sich keine Fahrkarte für einen Hochgeschwindigkeitszug leisten konnte, musste sie mit einem normalen TGV vorliebnehmen, einem alten, abgenudelten, asthmatischen und äußerst pannenanfälligen Zug. Laurie hat nicht mitgezählt, wie oft er außerplanmäßig angehalten hat oder länger als vorgesehen in Bahnhöfen stehen geblieben ist, und auch darüber, wie häufig er plötzlich nur noch ganz langsam vorwärtszockelte, hat sie nicht Buch geführt. Hinzu kam ein Wolkenbruch über der Champagne, der die Gleise unterspült und den Zug fast eine Stunde lang in Châlons blockiert hat. Zwar hatte Laurie in weiser Voraussicht ein Buch eingepackt, allerdings hat sie nur wenig gelesen, dafür aber viel nachgedacht. Was würde sie erwarten? Wie würde die beängstigende Wüstendurchquerung im Lkw vonstattengehen? Und das Leben in Burkina Faso? Wahrscheinlich ist es ärmlich und elend. Außerdem hat sie Angst vor der Verantwortung, Aufsicht über eine Tiefenbohrung führen zu müssen ... Und dann ist da noch dieser Holländer, ein gewisser Ruud Klaas, der sie auf ihrer abenteuerlichen Tour begleiten wird. Er ist der Einzige, der auf alle von ihr geschalteten Anzeigen geantwortet hat, und dann auch noch ausgerechnet auf die Annonce bei »Arbeit«, einer der schlimmsten Zeitarbeitsfirmen überhaupt. Er ist Ökoflüchtling, siebenunddreißig Jahre alt, besaß in den Niederlanden ein Gartenbauunternehmen, hat aber bei der Katastrophe im vergangenen Monat seine gesamte Existenz verloren. Er hat einen Lkw-Führerschein, war noch nie im Leben in der Wüste und nimmt jede Arbeit an, auch wenn sie körperlich anstrengend ist. Doch all das sagt nichts über seine Persönlichkeit aus. Werden sie sich gegenseitig überhaupt ertragen? Kann er dafür garantieren? Wird er sie vielleicht anmachen? Und wenn ja - wie soll sie Abstand wahren? Laurie hat im Augenblick nicht die geringste Lust, sich auf eine neue
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