Öffne deine Seele (German Edition)
Indizien.» Er zog die Umschlaglasche auf, schob einen Aktenstapel beiseite und ließ die Fotos auf den Tisch gleiten. «Alles, was uns fehlt, ist eine Spur von den Kindern.»
Die Sekretärin trat näher.
«Falk Sieverstedt ist sein Leben lang von seinem Vater gedemütigt worden», erklärte er. «Geschäftssinn, Härte, Rücksichtslosigkeit: Offenbar hatte der Junge tatsächlich nichts von dem, was einen echten Sieverstedt ausmachte. Seine Leidenschaft war die Fotografie. Sein Traum war es, in einem einzigen Bild eine ganze Geschichte festzuhalten, und die Geschichte, auf die er sich dabei eingeschossen hatte, waren die Machenschaften seines Vaters und dessen führenden Mitarbeiters im Kinderhandel. Warum er gerade auf diese Geschichte verfallen ist …»
Albrecht hob die Schultern.
«Eine subtile Form der Rache für all die Kränkungen? Diese Vorstellung hat eine gewisse Ironie: Hat Sieverstedt den Jungen nicht immer wieder provoziert, ihn bis aufs Blut gereizt, gegen ihn aufzubegehren?»
Wegner hörte aufmerksam zu, doch ihr musste klar sein, dass er an dieser Stelle nicht auf eine Antwort wartete.
«Nun, letztendlich hat er am Ende genau das getan», erklärte Albrecht. «Allerdings auf ganz andere Weise, als der Konsul vermutlich erwartet hat. Der Schlag, den Falk Sieverstedt vorbereitet hat, sollte tödlich sein. Wir wissen noch nicht genau, seit wann er an der Geschichte dran war. Die MS Elisabeth war im März zum letzten Mal in Hamburg. Zu diesem Zeitpunkt müssen diese Aufnahmen entstanden sein.»
Er schob die Fotos beiseite, musterte die Sekretärin prüfend. Bis hierhin konnte sie ihm folgen.
«Doch dem Konsul sind die Nachforschungen seines Sohnes nicht verborgen geblieben», fuhr er fort. «In der Nacht von Samstag auf Sonntag muss er den Jungen in seine Gewalt gebracht haben. Selbstredend nicht er allein. Friedrich Sieverstedt wäre schon körperlich nicht in der Lage gewesen, Falk in das Becken im Dahliengarten zu transportieren. Ob es Retzlaff war, der ihn auch an diesem Punkt unterstützt hat, werden wir wissen, wenn die Leiche geborgen ist und wir die Fingerabdrücke mit Martin Eulers Funden am Bassin abgleichen können. Dass der Konsul die Anweisungen gegeben hat, dürfte nicht in Zweifel stehen, doch natürlich müssen auch diejenigen zur Rechenschaft gezogen werden, die die Tat in seinem Auftrag ausgeführt haben.»
Er holte Luft. «Entscheidend ist aber, was an diesem Samstagabend geschah: Uns war bereits klar, dass der Täter irgendwie mit Falk vertraut gewesen sein muss. Beim eigenen Vater ist das natürlich der Fall. Sieverstedt sediert ihn also und lässt bei dem Jungen eine Lobotomie vornehmen. Warum tut er das?»
Wegner hatte die Fotos betrachtet, blickte jetzt auf und sah ihn fragend an.
«Weil er nicht die Absicht hat, ihn zu töten», erklärte Albrecht. «Weil er ihn nämlich noch braucht. Dem Konsul ist klar, dass nach seinem eigenen Tod sein Sohn der letzte Träger des Namens Sieverstedt sein wird und die letzte und einzige Chance, dass dieser Name und dessen stolze Tradition …», die beiden Worte spuckte er förmlich aus, «… fortbesteht. Dazu braucht er den Jungen – allerdings nicht dessen Verstand und Persönlichkeit. Den rein mechanischen Zeugungsakt kann ein lobotomierter Falk Sieverstedt ganz genauso durchführen. Eine bereitwillige Partnerin …» Er winkte ab. «Dazu hat man Geld.»
Schwer stand er auf, ging halb um den Tisch herum.
«Dann aber dämmert der Junge zurück ins Bewusstsein, und was stellt der Konsul fest? Der Eingriff war nicht erfolgreich. Falk ist nach wie vor bei Verstand und verfügt über das Wissen, das seinen Vater vernichten kann. Zu diesem Zeitpunkt kommt es tatsächlich nur noch auf Falk an: Die Originale unserer Bilder hier hat Sieverstedt bereits an sich gebracht – dass seine Frau Kopien angefertigt hat, weiß er nicht. Die Fotoausrüstung besitzt er ebenfalls. Sie ist bis heute nicht wiederaufgetaucht. Falls Falk seine Aufnahmen irgendwo digital gespeichert hat, sind vermutlich auch diese Datenspeicher in seinem Besitz. Hauptmeister Winterfeldt ist sich jetzt sicher, dass sich solche Fotos niemals auf dem Laptop befunden haben, den er auswerten konnte.»
Er hatte den Tisch umrundet, blieb vor der Sekretärin stehen: «Was geschieht nun aber am Sonntag, als Falk langsam wieder aufwacht? Sieverstedt trifft eine Entscheidung: Der Junge muss sterben.»
Wegner sah zwischen Albrecht und den Fotos hin und her.
«Und warum im
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