Öffne deine Seele (German Edition)
Straatens Stunde.
«Herr …» Der Staatsanwalt machte eine wohl berechnete Pause, gerade lang genug, um deutlich zu machen, dass er den Mann nicht mehr mit seinem Dienstrang – Oberkommissar bei der uniformierten Polizei – ansprach. «Herr Wienand.»
Wienands Gesichtsfarbe hatte denselben Ton wie sein aschgrauer Anzug. Seine Miene war die eines Mannes, dem absolut klar war, dass ihn sämtliche Anwesenden verachteten. Eingeschlossen sein eigener Rechtsbeistand, mit dem er vor einer Stunde auf dem Revier erschienen war.
Albrecht erinnerte sich an Wienand, wie er sich an viele Gesichter unter den uniformierten Polizisten erinnerte, mit denen er immer wieder zu tun hatte. Der Beamte war am Dradenauhafen dabei gewesen, beim Sturm auf das Wellblechgebäude, das Falk Sieverstedt auf seinem Foto festgehalten hatte.
Das Gebäude war leer und verlassen gewesen, genau wie das gesamte Gelände, doch jedenfalls wusste Wienand, wonach sie auf der Suche waren, hatte die Fotos zu sehen bekommen, das Containerschiff, den Lkw.
Die kleinen Mädchen.
Ihretwegen war er jetzt hier.
«Herr Wienand», sagte van Straaten. «Ihnen ist klar, dass das, was wir hier vereinbaren, keinen Einfluss auf die disziplinarrechtlichen Konsequenzen haben wird, die aus Ihrer Aussage entstehen? Unsere Vereinbarung erfasst ausschließlich die strafrechtliche Seite. Haben Sie das verstanden?»
Ein krampfhaftes Nicken. «Ja.»
Dem Mann war bewusst, dass er von diesem Moment an kein Polizist mehr war.
«Gut.» Van Straaten ließ keinen Zweifel daran, dass dieses Wort von Herzen kam. «Dann bitte ich um Ihre Unterschriften.»
Wienand und sein Anwalt unterschrieben, van Straaten hatte bereits unterzeichnet.
«Bitte.» Der Anwalt nickte Albrecht zu und lehnte sich zurück.
«Lehmann?», brummte der Hauptkommissar.
Der junge Kollege reichte Albrecht die vorbereiteten Formblätter.
«Sie sind Herr Jens Wienand, geboren am 29. März 1965 in Elmshorn. Das ist richtig?»
«Ja.»
«Herr Wienand, ich mache Sie darauf aufmerksam, dass dieses Gespräch aufgezeichnet wird. Haben Sie das verstanden?»
«Ja.»
«Außerdem teile ich Ihnen mit, dass die Vereinbarung mit dem Staatsanwalt ausschließlich die Tatbestände umfasst, über die Sie uns hier und jetzt Auskunft geben. Wenn Sie uns irgendetwas Tatrelevantes verschweigen oder in irgendeinem Punkt unrichtige Angaben machen, ist unsere Vereinbarung hinfällig.»
Der entscheidende Punkt, dachte er, an dem sich ein signifikanter Teil der Möchtegern-Kronzeugen verhedderte, sodass am Ende die Gerechtigkeit doch noch ihren Lauf nehmen konnte.
«Ja», flüsterte Wienand.
Albrecht nickte.
«Herr Wienand, erzählen Sie mir, was sich am 4. Mai dieses Jahres zugetragen hat.»
Anders als van Straaten brachte er das Wort bitte nicht über die Lippen.
«Wir waren unterwegs auf Streife, in Wandsbek.»
«Wer sind ‹wir›?»
«Polizeikommissar Jörn Nolting und ich. Mein Streifenpartner.»
Einige der Details kannte Albrecht bereits. Hansen und Jelinek bereiteten sich in diesen Minuten vor, noch heute Abend bei Nolting vor der Tür zu stehen. Wienands Kollege würde die kommende Nacht in Gewahrsam verbringen. Und es würde nicht die letzte sein.
«Weiter», sagte Albrecht.
«Es war ein typischer Abend. Die üblichen Routinesachen, Streitereien in der Nachbarschaft, Rentner beruhigen. Sie kennen das sicher selbst, solche Abende.»
«Das bezweifle ich. Kommen Sie zum Punkt!»
«Wir hatten einen …» Wienand räusperte sich. «Einen Anruf von einer alten Dame, die meinte, wir sollten uns eine Souterrainwohnung in der Nachbarschaft einmal ansehen. Sie meinte, dort würden nach Einbruch der Dunkelheit sehr viele fremde Leute ein und aus gehen.»
«Leute?»
«Männer. – Könnte ich ein Glas Wasser haben?»
«Wenn wir fertig sind. Weiter!»
«Hauptkommissar.» Wienands Anwalt beugte sich vor. Es war unübersehbar, wie unwohl er sich in der Situation fühlte. «Mein Mandant hat um ein Glas Wasser gebeten.»
«Lehmann», knurrte Albrecht. «Bringen Sie dem Mann Wasser.»
Wienand zitterte, als er das Glas an die Lippen führte, und verschluckte sich auf der Stelle.
«Weiter», sagte Albrecht. «Es handelte sich um die Wohnung, deren Adresse Sie uns gegeben haben? In der Lesserstraße?»
«Ja. Ja.» Wienand wischte sich den Schweiß von der Stirn. «Wir sind reingegangen, um nach dem Rechten zu sehen. Also, zuerst wollten sie uns nicht reinlassen, aber als wir gedroht haben, Verstärkung
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