Öffne deine Seele (German Edition)
möglich.
Er änderte seine Strategie auf der Stelle.
«Kriminalkommissarin Friedrichs hat sich bereits vorgestern mit Marius unterhalten», erklärte er. «Mit Sicherheit erinnern Sie sich an sie.»
« Helena », knurrte Dennis.
Merz verlagerte kurz sein Gewicht. Schließlich trug er eine Mullpackung auf dem Gesicht, die ihn aussehen ließ wie Hannibal Lecter. Wenn er etwas unsicher auf den Beinen schien, war das unverdächtig.
Wie Eisenklauen gruben sich seine Finger in Dennis’ Oberarm.
Halt endlich den Mund, du Idiot!
«Helena», murmelte Sören. «Natürlich. Wir haben gesehen, wie Frau von Merkatz eine fremde Dame begrüßt hat. Eine Besucherin. Aber da wussten wir noch nicht, wer sie war. Erst als wir im Kaminzimmer die Sendung verfolgt haben …» Er schüttelte den Kopf. «Doch das war vorgestern. Gestern war sie auch hier? Das habe ich nicht mitbekommen. Aber wir waren auch den ganzen Tag auf den Feldern, um die Ernte einzubringen. Wegen des drohenden Unwetters», fügte er mit einem Blick auf Dennis hinzu.
Merz schüttelte den Kopf. «Als ich gefahren bin, waren Sie schon wieder zurück von den Feldern. Kommissarin Friedrichs kann erst gekommen sein, nachdem ich weg war.»
«Nachdem Sie weg waren?» Der junge Mann kniff die Augen zusammen. «Da war ja das Unwetter fast schon da. Nein, da ist niemand mehr gekommen. Und ein paar Minuten später hatten wir schon alle Hände voll zu tun, dass die Freunde draußen am Tor – die Demonstranten – irgendwo unterkommen konnten. Draußen natürlich, im Café und …» Er schüttelte den Kopf. «Aber da muss hier am Berg schon alles dicht gewesen sein. Nein.» Wieder ging sein Blick zu Dennis. «Es tut mir fürchterlich leid, aber Ihre Frau ist gestern nicht hier gewesen.»
Schweigen, aber nur für zwei Sekunden.
«Nein!» Sörens Gesichtsausdruck veränderte sich. «Bitte, ich wollte Ihnen keine Angst machen! Bestimmt gibt es eine ganz harmlose Erklärung. Solche Sorgen sind das Schlimmste, was man sich antun kann. Und fast immer sind sie unnötig! Marius würde sagen …»
«Danke.»
Rasch griff Merz nach Dennis’ Anzugärmel.
Er war sich nicht sicher, wie Hannahs Ehemann in diesem Moment auf eine von Marius’ Lebensweisheiten reagieren würde.
Vermutlich nicht unbedingt mit Beifall.
Sören blieb hinter ihnen zurück. Sekunden später nahm der Harvester mit einem dumpfen Röhren seine Arbeit wieder auf.
Alles wie zuvor.
Doch die Stimmung hatte sich verändert.
«Sie war hier», murmelte Merz. «Ich habe sie mit eigenen Augen gesehen. Ich habe mit ihr gesprochen. Sie stand an der Schranke und wollte hoch auf das Anwesen. Aber offenbar ist sie nicht angekommen.»
Mit finsterem Gesichtsausdruck marschierte Dennis neben ihm her.
Sie mussten es nicht aussprechen.
Konnte es eine harmlose Erklärung geben?
Fünfzehn Stunden, dachte Merz. Fünfzehn Stunden war es her, dass Hannah an der Schranke gewartet hatte und – anders gewesen war. Angespannt auf eine Weise, wie er das nie bei ihr erlebt hatte.
Wo zur Hölle steckte sie?
Zwischenspiel V
I ch habe Durst.
Das ist mein erster bewusster Gedanke.
Als ich elf war, bin ich am Blinddarm operiert worden. Ich erinnere mich an einen fürchterlich hellen Raum voller blinkender, surrender, unheimlicher Geräte, die ich nur aus dem Augenwinkel erkennen konnte, denn bewegen konnte ich mich noch nicht.
Und an den Durst erinnere ich mich.
Hier ist es nicht hell.
Es ist dunkel, aber nicht vollkommen. Von irgendwoher ganz am Rande meines Gesichtsfelds kommt ein Hauch von Licht.
Ich drehe den Kopf. Es funktioniert.
Doch nichts verändert sich. Es wird nicht heller.
Mein Kopf. Warum kann ich nicht sehen? Was ist mit meinem Kopf?
Ich hebe die Hand … aber ich komme nur fünf Zentimeter weit.
Es tut nicht weh, aber irgendetwas hält meine Hände in Position, verhindert, dass ich sie weiter als ein paar Zentimeter von meinem Körper entferne.
Ich … ich liege.
Ja, ich liege, genau wie damals im Krankenhaus.
Hatte ich einen Unfall?
«Hall…» Ich räuspere mich, und meine Kehle tut weh. Der Durst ist schrecklich. Ich kann mich nicht erinnern, jemals so fürchterlichen Durst gehabt zu haben – nicht seit damals, als ich elf Jahre alt war.
«Hallo?», frage ich.
Stille. Nur der Hall.
Ein Hall, der anders ist, als ich erwartet habe.
«Hallo?», frage ich noch einmal und lausche dem Wort nach. «Hallo? Ist da jemand?»
Ja, da ist ein Hall, ein Echo beinahe, mit dem ich nicht
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